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ICH LEBE!

Annkathrin Blank war zum vierten Mal im Kinderdorf, 6 lange Monate

Als ich mich diesmal auf den Weg nach Sri Lanka machte, wusste ich nicht so genau, was auf mich zukommen wird. Die Verfolgung von Michael Kreitmeir, seine Verhaftung und all die Schwierigkeiten, die ihm seit meinem letzten Aufenthalt gemacht worden waren, all das hatte mich unsicher gemacht. Haben sich die Kinder, Mitarbeiter, einfach Little Smile dadurch verändert? Herrscht jetzt Unsicherheit, Angst oder ist alles wie immer? Trotzdem war mir klar, dass ich gerade jetzt bei meiner Little Smile Familie sein will. Ich konnte es also wieder einmal kaum erwarten anzukommen.
Und eigentlich fand ich alles vor, wie ich es gewohnt war. Ich war einerseits überrascht, andererseits wurde mir schnell klar, dass es dumm von mir war zu glauben, dass alles aus dem Ruder laufen würde. Die Kinder forderten ihre Beachtung, genau wie vorher, die Schwierigkeiten waren ähnlich, trotzdem hatte ich auch das Gefühl, dass die wenigen Mitarbeiter, die geblieben sind, zusammengerückt sind, was sie auch mussten, bei der knappen Personalsituation.
Ich kam also an und habe mich sofort wieder wie Zuhause gefühlt. Unsicherheit brachte mir zu Beginn, dass ich ja im April 2010 in einer Zeit des Umbruchs gefahren war: Bawani, die damalige Verantwortliche für alle Kinder und Mitarbeiter, wechselte nach vielen Jahren im Hauptdorf in unser Bubenheim 5 km entfernt und Saradha, die ja schon als Kind zu uns kam und bis dahin im Büro gearbeitet hat, übernahm ihre Aufgaben. Im April 2010 war ich damals sehr gefordert mit Saradha zusammen für den geregelten Tagesablauf der Kinder zu sorgen, da weder ich, noch sie genau wussten, was zu tun war. Kurz gesagt, wir waren ein Team in einer sehr schwierigen Zeit im Kinderdorf. Nun ein halbes Jahr später wusste Saradha sehr genau, was in welcher Situation zu tun ist und es war ein komisches Gefühl für mich, nicht mehr als Team mit ihr zu arbeiten, sondern als eine normale Mitarbeiterin in einem Kinderhaus. Ich war im Haus der kleinsten Mädchen (zwischen 2 und 6 Jahren), was für mich neue Erfahrungen brachte, da ich vorher immer für die großen Mädchen zuständig war. Die Arbeit hat mir auch hier großen Spaß gemacht. Wenn mich z.B. eine kleine Hirushi anstrahlt wie ein Sonnenschein, nur weil ich ihr das Gesicht eincreme und sie dabei berühre, dann weiß man, warum man macht, was man macht. Auch haben mich die Kleinen gezwungen sehr schnell die wichtigsten Worte Singhalesisch mitzunehmen, denn Englisch können alle dort nur sehr rudimentär. So habe ich meine Vormittage, während die Mädchen im Kindergarten oder in der Schule waren, dazu genutzt mit Samanthika Singhalesisch zu lernen. Samanthika, die Auszubildende im Haus der kleinen Mädchen, kannte ich schon aus meiner Zeit 2006, als sie noch als großes Mädchen im Moonlight-Haus nach einigen kleinen Mädchen geschaut hat. Ich erinnerte mich oft lachend mit ihr an Situationen, bei denen wir damals aneinandergeraten sind, weil sie ihren sturen Kopf durchsetzen wollte, oder als ich eine halbe Nacht lang an ihrem Bett saß und sie tröstete, weil sie Ohrenschmerzen hatte. Und jetzt saßen wir als Team zusammen und sie blühte förmlich auf, weil sie mir etwas beibringen konnte. Ich erinnere mich auch mit Freunden daran, wie jeden Tag eine neuen „Benjamin“-story gefordert wurde, die ich jeden Abend erzählte. Und Samanthika hatte von Allen am meisten Spaß dabei, das Gesagte für die Kleinen zu übersetzen.
Als sich die Personalsituation wieder etwas gebessert hatte, wurde ich in mehreren Häusern eingesetzt. Damit hatte ich wieder etwas zurück vom Gesamtüberblick, den ich so vermisst hatte. Von nun an waren die zwischenmenschlichen Beziehungen zu Kindern oder Mitarbeitern für mich die größte Herausforderung. Beziehungen zu Menschen gestalten sich in Sri Lanka sehr schwierig und von Grund auf unterschiedlich zu dem, was wir in Deutschland gewohnt sind.
Die meisten der großen Mädchen kannte ich schon länger und zu einigen hatte ich über die Zeit eine starke Beziehung aufgebaut. Ich erinnerte mich oft an gemeinsame Situationen zurück, wie Ausflüge, besondere Gespräche, Tage, an denen sie krank Zuhause bleiben mussten und vieles mehr, die das bedingt hatten.
Vor allem im Lucky- und Green-Star-Haus kannte ich die Mädchen am besten und hatte fast mit jedem Mädchen eine besondere Geschichte zu erzählen. Ich genoss es mit ihnen zusammenzusitzen, oft bis sehr spät in den Abend hinein, wenn wir erzählten, was wir gemeinsam erlebt haben, oder in der Zwischenzeit passiert war. Es war schön für mich zu merken, dass ich jetzt schon länger Teil von Little Smile bin und viel mit ihnen erlebt habe. So viel, dass man schon über „damals“ reden konnte.
Über Kinder, die Little Smile schon verlassen haben und jetzt ihr eigenes Leben leben, über Mitarbeiter und Volontäre. Doch allein damit war es nicht getan. Im Alltag gestaltete es sich für mich als schwierig zu akzeptieren, dass Kinder, die ich als total unkompliziert kannte, auf einmal auch ihre pubertären Marotten zum Vorschein brachten und mich oft herausforderten. Dass Mädchen, denen ich mich sehr verbunden fühlte, aufgrund kleiner Diskrepanzen die ganze Beziehung in Frage stellten und mich einfach ignorierten. Wenn ein Reden nicht mehr möglich schien, wenn da nur noch stures Dagegen sein war und alles vergessen schien, was man vorher miteinander geteilt hat, dann hat das scheinbar die Kinder nur wenig gekümmert, mich jedoch sehr. Tag für Tag habe ich probiert mich davon freizumachen und meine Liebe zu den Kindern etwas zurückzufahren, damit ich nicht so verletzlich bin, doch ich konnte es nicht - und ich wollte es auch nicht.
Mein Leben in Sri Lanka ist geprägt von der Liebe zu den Kindern und Menschen dort, ansonsten gäbe es keinen richtig guten Grund jeden Tag 100 Prozent zu geben. So passierte es mir immer wieder, dass ich Vertrauen in ein Mädchen steckte, es gefordert und gefördert habe, ihr versucht habe etwas über das Leben beizubringen und aufgrund ihrer Entwicklung dachte, dass es mir gelingt. Doch meist wurde ich schmerzhaft in die Realität zurückgeholt, als ich herausfand, dass ich zwischenzeitlich mehrmals angelogen wurde und mein Vertrauen ausgenutzt wurde. Doch Vertrauen ist für mich der Grundbaustein zum menschlichen Zusammenleben und was macht das Zusammenleben in einer Familie dann noch aus, wenn man jedem von Grund auf misstraut? Ich habe also für mich entschieden mich auf jedes Mädchen wieder neu einzulassen, jedem eine neue Chance zu geben. Mit dieser Entscheidung wird man sicherlich öfter enttäuscht und verletzt, aber für mich gab es keine gute Alternative dazu.
Meine Beziehungen zu den Mitarbeiterinnen gestalteten sich anders, als zu den Mädchen, aber auch nicht zwingend leichter, doch dort konnte ich vielmehr einsetzen, was ich bisher schon gelernt hatte. In der Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen herrscht ständig die Schwierigkeit vor, dass man in Sri Lanka nicht gewohnt ist auf Fehler hingewiesen zu werden. Man schätzt Kritik selten als konstruktiv ein und nutzt sie nicht, um dazuzulernen und zu wachsen. Kritik wird als schlimm empfunden, man hat Fehler gemacht, man ist nicht gut, man verliert sein Gesicht vor den Anderen. Nach einem Gespräch, in dem man Kritik übt, vor allem wenn Michael Kreitmeir anwesend ist, wird die Mitarbeiterin sehr oft verärgert reagieren und nicht mehr mit einem sprechen, kurz ihre Liebe entziehen. Durchbrechen kann man diesen Kreislauf häufig leicht, indem man dieses Spiel nicht mitspielt und mit ihr spricht, als würde man nicht merken, dass sie gerade nicht mit einem sprechen möchte. Dennoch kosten solche unsinnigen Streitereien Energie und man muss selbst auch immer aufpassen, dass man nicht grundlos beleidigt auf den Anderen wird. Das ist eine Herausforderung und man muss zuerst verstehen, dass diese Schwierigkeit durch den so viel zitierten Kulturunterschied bedingt ist, der nicht in Äußerlichkeiten, wie etwas Hautfarbe, Kleidung oder Sprache zu suchen sind, sondern im Denken seinen Ursprung nimmt.

Ich hatte wieder eine unglaublich intensive Zeit in Sri Lanka. Eine Zeit, in der ich gelacht habe, traurig war, glücklich, ängstlich, wütend, verletzt, verzweifelt oder voller Hoffnung und Freude. Jedes Gefühl war dabei, aber ich kann sagen, dass es keinen Moment gab, in dem ich nicht zufrieden war, zufrieden mit dem, was ich mache, zufrieden mit dem, was ich versuche, zufrieden, wie ich gerade lebe. Und das macht für mich Little Smile zu etwas Einmaligem:
ICH LEBE, voller Schwierigkeiten und Einschränkungen, aber auch in völliger Zufriedenheit und mit großer Liebe zu den Menschen und zur Idee, die hinter Little Smile steckt, nämlich täglich zu versuchen, was unmöglich scheint und dadurch dem Ziel Schritt für Schritt näher zu kommen und das Unmögliche dann eben doch irgendwie möglich zu machen.
Mittlerweile bin ich zwei Wochen zurück in Deutschland und habe alle Annehmlichkeiten, die der deutsche Alltag bietet, sei es eine warme Dusche oder die Fülle an Lebensmitteln, aber ich vermisse das wirkliche Leben, das ich in Little Smile jeden Tag so deutlich spüren konnte, so sehr. Ich vermisse meine Little Smile Familie mit Allem was eben dazugehört. Aber eigentlich sollte ich mich glücklich schätzen ein solches Leben kennengelernt zu haben, denn es wäre mir etwas vom wirklichen Leben verborgen geblieben, wäre ich nie nach Little Smile gekommen.
Zum Schluss bleibt mir nur Danke zu sagen, an alle, die mithelfen diese Idee Stück für Stück zu verwirklichen, vor allem natürlich Michael Kreitmeir, der seine ganze Kraft und auch sein ganzes Leben für diese Idee gibt. Ich werde selbstverständlich wiederkommen, sobald es mir auch nur irgendwie möglich ist.