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Meine Zeit im Kinderdorf Little Smile

Januar 2024, Leila

Ich sitze auf der Veranda und genieße die wunderschönen Sinneseindrücke, das Plätschern der Drainline, den Hauch einer kühlen Brise und die intensiven Farben.
Erst vor einem Monat bin ich in Little Smile angekommen und nun muss ich leider sehr spontan meinen Aufenthalt vorzeitig beenden und ich fliege in ein paar Tagen zurück nach Deutschland. Das hat nichts mit meinen bisherigen Erfahrungen hier zu tun, sondern damit, dass manche Dinge im Voraus nicht planbar sind...

Ich plane gern mein Leben, es befriedigt mich zu wissen, was wann passiert. Hier habe ich schnell verstanden, dass ich das loslassen muss, um mich einlassen zu können. Egal was vor einer Stunde festgelegt wurde, es kann im nächsten Moment wieder anders sein. Mittlerweile ist es mir vollkommen bewusst und es ist normal für mich, jede Tageswendung anzunehmen.

In meinem einen Monat hier war ich in drei verschiedenen Ha?usern und bin 3x umgezogen. In meiner ersten Woche hätte ich mir nicht vorstellen können, das Haus überhaupt zu wechseln. Der erste Umzug kam für mich auch sehr überraschend. Nach jedem Umzug musste ich weinen, weil ich mich immer wieder aufs Neue unsicher gefühlt habe in meiner Position und mit den Mädchen. Das hielt aber immer nur einen Tag und eine Nacht an und nach einer Woche fühlte es sich so an, als sei ich schon ewig mit ihnen. Ich bin nun sehr glücklich darüber, weil ich dadurch sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht habe mit verschiedenen Altersgruppen und Aufgaben. Jeden Tag bin ich den Mädchen aufs Neue dankbar für ihre offene, willkommenheißende Art, die mich ständig überrascht und mir Freude bringt! Sie erleichtert mir das in Kontakt gehen und somit das Ankommen. Jede Woche wurde mein Heimweh deutlich weniger und ich bekomme immer mehr Gespür fu?r meine Rolle, die ich hier einnehme. Ich glaube, ich habe den ersten Monat gebraucht, um wirklich anzukommen, um mit den Mädchen wirklich ehrliche Gespräche zu führen und wahrhaftig mit ihnen zu lachen. Das macht es immer schöner!

In meinem ersten Haus hatte ich wenig Verantwortung, was mich schnell langweilen lassen hat. Immer wieder habe ich mich gefragt, was ich jetzt am besten tun sollte? Ich habe mit viel Druck gemacht, es richtig machen zu wollen, aber nicht so richtig zu wissen, was. Es war mir mega unangenehm, Fehler zu machen. Mir war im Vorhinein bewusst gewesen, dass ich mich die erste Woche sehr hilflos fühlen würde, aber trotzdem fiel es mir sehr schwer, es auszuhalten. Einmal beim Feuerholzsammeln habe ich all meine Mädchen verloren, mit den ich eigentlich zusammen bleiben sollte. Ich habe dann Anka getroffen und war schon total verzweifelt, es war mir auch mega unangenehm. Sie hat mich nur angelächelt und meinte, sie wisse, wie schwer es sei. Da ist mir richtig bewusst geworden, dass es mein eigener Leistungsdruck ist, der mich quält und es total in Ordnung ist, wenn es nicht wie geplant und perfekt läuft.

Durch meine Erfahrungen in anderen Häusern habe ich herausgefunden, dass es mir gefällt, die Verantwortung fu?r bestimmte Dinge zu haben, weil es mir erleichtert, den Sinn zu sehen, in dem, was ich tue.

Nach jedem Umzug dachte ich mir bei jeder Altersgruppe, hier sei es jetzt besonders toll. Mittlerweile fordern mich die Kleinen (3-6) am meisten heraus, weil die Verständigung für mich am schwersten ist und weil ich bei ihnen am meisten das Gefühl habe, ihnen eine bestimmte Bescha?ftigung bieten zu müssen. Manchmal fehlt mir die Motivation, sie fu?r etwas bestimmtes zu begeistern. Wenn ich es versuche und es funktioniert, löst es ein wunderschönes Gefu?hl aus, zu wissen, dass sie sich aufgrund meiner Initiative so sehr freuen!

Es gibt viele verschiedene Ebenen, weshalb ich gerne in Little Smile bin.
Es ist sehr interessant und berührend, die Kultur hautnah zu erleben, bei allem dabei sein zu dürfen und dazu noch die Möglichkeit zu haben, alle Fragen, die mir kommen, stellen zu können. Die Mädchen lassen mich ein Teil ihrer ganz alltäglichen Abläufe sein, aber auch von besonderen, intimen Momenten. Unglaublich fand ich den Morgen, an dem ein Mädchen ihre Big-Girl-Party hatte, eine Zeremonie, um zu zelebrieren, dass sie zum ersten Mal ihre Periode bekommen hat. Dabei wurde sie gewaschen und auch ICH durfte sie waschen und mit anderen ‘’Big Girls’’ bei ihr im Kreise stehen.
Ich hätte nicht gedacht, dass mir die Musik, das Essen, der su?ße Tee, die Art sich zu schminken und zu frisieren, die Toiletten, das selbst waschen der Klamotten und das Beten so sehr gefallen würden! Ich sehne mich null nach Brot oder meiner vertrauten Musik, die ich normalerweise dauerhaft in Deutschland gehört habe.
 

Es tut meiner Seele gut, hier zu sein. Es macht mich glücklich, so nah mit der Natur zu leben. Mein Ekel vor der Natur hat um einiges nachgelassen. Die ersten Tage habe ich mich mega geekelt, wenn ich im Dunkeln barfuß in eine Nacktschnecke getreten bin, hatte ich Angst vor Blutegeln (bzw. Kudelus, wie sie hier sagen :) ) und fand es komisch mit den Ameisen in der Küche. All das kann ich nun einfach hinnehmen. Selbst wenn ich auf der Veranda in die Affenpipi fasse, ist es halt so, ich kann mir ja die Hände waschen.
Es macht mich glücklich, fu?r die Zeit hier nur wenige Gegenstände zu besitzen. Mein Konsumstress, den ich in Deutschland spüre, hat sich hier stark beruhigt.
Es macht mich glücklich, dass ich mich hier ganz selbstverständlich viel bewege und an der frischen Luft bin. Fürs Essen müssen wir zur Eating Hall laufen, fürs Meeting zum Main Haus, Nachmittags gehts mit den Kleinen in den Playroom, für Frühsport geht's den ganzen Weg runter zum Playground und jedes Wochenende steht Feuerholzsammeln auf der Agenda.

Es gab einige Sachen, die am Anfang sehr schwer waren. Ich glaube vor allem, weil ich noch so unsicher war.
Eine Herausforderung am Anfang war für mich generell die Verständigung auch mit den älteren. Ich habe die Mädchen oft schlecht verstanden wegen ihrem Akzent oder auch, weil ich manche Wörter nicht kannte. Es war mir sehr peinlich nachzufragen. Ich hatte Angst, dass es die Mädchen nervt, wenn ich "ständig" nachfrage und sie sich dann nicht mehr mit mir unterhalten wollen. Mittlerweile frage ich immer nach und wenn es Missverständnisse gibt, kann ich darüber lachen.

Eine weitere Herausforderung war die Essenssituation. Ich esse gern langsam, aber die Mädchen essen größtenteils viel schneller als ich. Es war mir äußerst unangenehm, die letzte zu sein, auf die alle warten müssen. Außerdem hat mich die Essensausgabe gestresst, wodurch ich mir oft zu viel genommen habe. Manchmal habe ich mich dann so gestresst, dass ich kaum mehr gekaut habe. Inzwischen habe ich die Ruhe, mir bei beidem meine Zeit zu nehmen und wenn ich mal die letzte bin, ist das in Ordnung.

Ich erlebte noch ein paar Überraschungsmomente, von denen ich berichten will.
Immer wieder war ich erstaunt, was die Kinder an Arbeit leisten. Als ich ankam, waren gerade Ferien und fast jeden Vormittag mussten wir körperlich arbeiten. Zuerst Frühsport, dann Duties, nach dem Frühstück körperliche Arbeit und am Nachmittag nochmal Duties. Natürlich hatte jedes Kind mal kein Bock aber der Unterschied zu den Kindern in Deutschland, mit den ich zusammenlebe, ist krass! Genauso deren Großzügigkeit und Bereitschaft, ihr Süßes zu teilen. Wahrscheinlich habe ich an der Stelle als Volontärin auch nochmal einen besonderen Status. Es hat u?ber die Zeit etwas nachgelassen, aber am Anfang konnte ich mich nicht in die Essensschlange stellen, ohne den Platz ganz vorn angeboten zu bekommen. Bei Versammlungen habe ich auch ständig einen Sitzplatz angeboten bekommen, der nicht auf dem Boden ist. Meistens will ich den Vorzug nicht und wenn, dann nehme ich ihn meistens nicht, weil es mir unangenehm ist, an der Stelle so einen “Vorteil” zu haben. Zu Beginn war es mir unangenehm ihn abzulehnen, ich hatte Angst, es könnte sie beleidigen. Nun ist es einfacher für mich, weil ich mich mit Anka darüber austauschen konnte.
Verblüffend war auch, dass die Mädchen teilweise auch schon im jungen Alter kein Problem damit haben, brutale Filmszenen zu schauen, wie bei Lord of the Rings. Bei Kussszenen hingegen schauen sie weg, weil es in ihrer Kultur nicht öffentlich gelebt wird.
Sehr beeindruckend finde ich das Gefühl zur Zeit. Die ersten Tage kamen mir hier ewig lang vor. Nach einer Woche ist schon so viel passiert, dass es sich wie ein Monat angefühlt hat. Das schöne ist, wenn ich mich abends in mein Bett lege, habe ich immer das Gefühl, ich ha?tte den Tag genutzt und nicht mit etwas Unnötigen verschwendet. Egal wie anstrengend, überfordert oder doof es auch mal war, ich habe immer abends das Gefühl, dass es sich gelohnt hat.

Ich bin zutiefst dankbar für die Erfahrung.