Besucher seit Januar 2005: 989477

Wenn die Fremde vertraut und die Heimat fremd wird

Annkathrin Blank: Zum dritten Mal im Einsatz "for (a) Little Smile"
Im September 2006 kam ich zum ersten Mal nach Little Smile, im Februar 2010 zum dritten Mal. Und wenn ich heute darüber nachdenke, dann merke ich, wie sehr sich alles verändert hat und doch irgendwie gleich blieb und wie sehr ich mich in dieser Zeit verändert habe und das sicher auch ein gutes Stück weit durch Little Smile.

Ich kam also im Februar in Little Smile an. Auf der Fahrt vom Flughafen zum Kinderdorf konnte ich mich kaum noch beherrschen vor Ungeduld endlich da zu sein. Ein Jahr habe ich seit meinem letzten Besuch auf den Moment gewartet am Tor anzukommen und hinunterzugehen zum Lucky und Green-Star-Haus, wo ich die meiste Zeit gewohnt habe. Und dann stand ich da in einer Horde von Kindern, die mich alle gleich aufgeregt fragten, ob ich mich noch an ihre Namen erinnern könnte. Was für eine blöde Frage, wie hätte ich „meine“ Mädels seit meinem letzten Besuch vergessen können. „Groß sind sie geworden“ – denke ich und muss über mich schmunzeln, wie sehr habe ich selbst immer diesen Satz von den älteren Damen in meinem kleinen Ort verurteilt. Aber es war genau so: die, die ich 2006 als kleine Mädels im Moonlight-Haus betreut habe, wie zum Beispiel Warunia oder Pavithra, die kümmern sich mittlerweile selbst um zwei kleine Mädchen. Und dann steht da Shyamali, eine der großen Mädels von damals, mit der ich oftmals Diskussionen über die zu erledigende Hausarbeit geführt habe, und sie ist mittlerweile als Auszubildende selbst in einem Mädchenhaus.
Und da war noch Enjali, damals unser Baby im Lucky-Haus mit knapp 10 Monaten, die mich mit gut verständlichen englischen Sätzen vollquasselt - damals hat sie mir noch mit dem lauten nächtlichen Schreien den Schlaf geraubt.

Wahnsinn wie sie sich alle verändert haben und doch ist alles eigentlich wie immer. Obwohl die Kleinen an die Stelle der damals Großen nachgerückt sind, viele neue kleine und auch größere Kinder und viele neue Mitarbeiterinnen hinzugekommen sind, die Häuser teils eine Renovierung bekommen haben, einen anderen Anstrich oder andere Möbel, ich habe mich sofort Daheim gefühlt. Keine Sekunde hat es gedauert bis ich wieder voll und ganz hier war und alles, was mich in Deutschland vorher beschäftigt hat, das war in Deutschland geblieben. Ich war mit vollem Herzen an diesem Ort, den ich so unbeschreiblich gern habe.
Ohne Eingewöhnungsschwierigkeiten, die man ja bei seinem ersten Besuch hier schon hat, habe ich scheinbar irgendwie wieder dort angefangen, wo ich vor einem Jahr aufgehört habe.

Für mich hat es sich fast so angefühlt, als ob ich nie weggewesen wäre und es das selbstverständlichste wäre, dass ich hier bin. Und dieses Gefühl blieb die ganzen zwei Monate, die ich da war. Deutschland und mein Leben zu Hause schienen so fern, wie nur denkbar und ich habe mich ganz auf die Arbeit mit den Kindern eingelassen.

Meine Arbeit habe ich diesmal vor allem darin gesehen, den Mitarbeiterinnen etwas zu lernen und ihnen Ideen zu geben, wie sie in ihren Häusern mehr auf die Kinder eingehen, klare Strukturen schaffen oder mit Problemen umgehen könnten. Denn nur so kann etwas von mir bleiben, wenn ich weggehe. Da könnte ich noch so gut die Verantwortung für ein Haus übernehmen, wenn ich es nicht schaffe meine Fähigkeiten an die einheimische Mitarbeiterin dort weiterzugeben, dann ist alles vergessen, sobald ich aus dem Tor gegangen bin. Und ich muss gestehen, dass mir das manchmal schwer gefallen ist. Denn es ist leichter etwas selbst zu machen, als Anweisungen zu geben, die dann falsch verstanden werden oder nicht beachtet werden; das kostet viel Kraft und Ausdauer. Aber da ich wusste, dass meine Arbeit nur so Sinn macht, habe ich mein Bestes versucht, auch wenn ich zugebe, dass ich es nicht immer durchgehalten habe und mich selbst oft ermahnen musste. So habe ich also die verschiedenen Häuser betreut, überall mal vorbeigeschaut und angesprochen was ich bemerkt habe. Natürlich hat das auch oft Probleme bereitet, denn offene Problemlösungen scheut man in Sri Lanka sehr, das wusste ich ja schon. Aber da ich alles, was ich getan habe, zum Wohle der Kinder tun wollte, habe ich mich auch vor dieser Unannehmlichkeit nicht gescheut und durchaus unangenehme Dinge angesprochen. Dass das den einheimischen Mitarbeiterinnen natürlich gegen den Strich gehen musste, wenn dann der Chef mal geschimpft hat, weil ich Fehler angesprochen habe, das war mir klar und natürlich auch nicht angenehm, denn eigentlich möchte man ja mit allen gut auskommen. Aber man muss sich eben entscheiden, wofür man gekommen ist: Um den Stil der meisten Menschen in Sri Lanka anzunehmen und Probleme und Fehler zu verschweigen, oder ob man sich für die Kinder einsetzen will und dafür sorgen will, dass sie eine Chance haben sich im positiven Sinne zu entwickeln. Für mich war klar, dass Little Smile ein Ort für Kinder ist und dass es richtig ist eben auch mal bei den Mitarbeiterinnen anzuecken, die einen dann schief von der Seite anschauen, meiden oder über einen lästern. Herr Kreitmeir hat mich immer wieder ermuntert, mir das was über mich getuschelt wird, nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen und immer das Motto zu beherzigen: Die Kinder sind nicht für uns da sondern wir für die Kinder. Zudem seien die Menschen hier zwar schnell eingeschnappt und todbeleidigt, aber schon am nächsten Tag sei oft alles vergessen.

In den Momenten, in denen ich manchmal gezweifelt hab, ob es richtig ist, dass ich mir so viele „Feinde“ durch meine ehrliche Art mache und mich dann öfter auch mal etwas allein gefühlt habe, da haben mir dann meist die Kinder gezeigt, dass ich es genau richtig mache. In ganz kleinen, unscheinbaren Situationen haben sie mir so viel gegeben, dass ich wusste warum ich das alles auf mich nehme. Warum ich meine ganzen Ferien „opfere“, wo ich doch auch einen Urlaub irgendwo am Meer machen könnte:


    - als ich zum Beispiel, auf Wunsch der Mädchen aus dem Lucky-Haus (das sind die ca. 11-16 jährigen), mit dem ganzen Lucky-Haus in unserem „Wohnzimmer“ dort auf Matten auf dem Boden geschlafen habe. Da hat man sich gestritten wer neben mir liegen darf und ganz korrekt früh am Morgen, als die ersten wach wurden, abgewechselt. Und als mich da plötzlich Warunia (ein eigentlich unglaublich starkes, selbständiges Mädchen) von hinten angestupst hat, nur um damit zu sagen „du, jetzt lieg ich neben dir, dreh dich mal auf meine Seite um“ …
    - als Pavithra sich am Arm verletzt hat und ich stundenlang an ihrem Bett saß und ihr englische Bücher vorgelesen habe, ihr mit allen alltäglichen Dingen geholfen habe, mich einfach um sie gekümmert habe, was die Mitarbeiterin aus ihrem Haus natürlich nicht in diesem Ausmaß konnte, weil sie ja auch noch die anderen Kinder zu betreuen hatte. Und als ich da aufwachte, eingeschlafen auf dem Stuhl mit dem Kopf auf dem Bett, Pavithras gesunder Arm auf meinem…
    - als Sita ein Mädchen in der 1. Klasse, das furchtbar Angst vor Wasser hat, beim Baden im Fluss wie ein Äffchen an mir hing und kein Anderer auch nur einen Schritt mit ihr ins Wasser wagen konnte, nur ich, weil sie mir vertraute, dass ich sie halte, so dass sie nicht untergeht…
    - als sich Shipani (ein 14 jähriges Mädchen) beim sonntäglichen Film mit so einer Gewalt an mich hingedrückt hat, dass es teilweise sogar weh tat und mir damit sagen wollte „hey, auch wenn ich schon so groß bin, brauch ich noch ganz viel Liebe und Zuwendung“ …
    - als ich mit Warunia auf einen Wettkampf im Sport gefahren bin und ich vor Stolz fast geplatzt bin, als Warunia alles, was ich auf Englisch gesagt habe für ihre gleichaltrigen Freundinnen ins Singhalesische übersetzt hat. Und die Freundinnen nicht auch nur ein einziges Wort von dem verstanden haben, was ich sagte, denn Englisch lernen unsere Kinder nicht wirklich in der Schule, sondern von den deutschen Volontären und natürlich ihrem Lokuthaththa (übersetzt „großen Vater“), wie wir Michael Kreitmeir hier nennen ...


Diese Momente und noch viele, viele mehr haben mir gezeigt, dass ich es genau richtig mache und ich nichts auf der Welt mit solchen Momenten tauschen wollte.
Allerdings muss man auch darauf achten, dass man nicht zu viel erwartet, denn oft wird man dann enttäuscht. Immer wieder hat mir „Lokuthatha“ gesagt: „Tue nie etwas, weil du was zurück erwartest. Mach das, was richtig ist und mach es, weil es richtig ist und dann wirst du nie enttaeuscht“. Freilich ist es gar nicht einfach, wirklich ohne Erwartungen zu sein und so wurde auch ich, folgerichtig, gelegentlich doch enttäuscht:


    - als ich zum Beispiel, direkt nach meiner Ankunft, im Haupthaus saß und zwei Mitarbeiterinnen (die beide schon während meines ersten Besuchs in Little Smile gearbeitet haben und mit denen ich mich immer gut verstanden habe) hereinkamen, um mit Michael Kreitmeir zu reden. Da haben die beiden ihr Anliegen vorgetragen und sind wieder gegangen, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, ohne „Hallo“ zu mir zu sagen, als ob sie mich nicht gesehen hätten…
    - als ich mich, wie oben schon beschrieben, lange um Pavithra gekümmert hatte, weil sie sich am Arm verletzt hat, und ihre Mutter urplötzlich, viel zu früh kam, um sie für die Ferien zum Urlaub mit nach Hause zu nehmen. Da hat sie einfach vergessen, sich von mir zu verabschieden, obwohl sie wusste, dass ich nach ihrer Rückkehr schon wieder in Deutschland sein werde…
    - als die sechs Jungs in unser Bubenheim 5 km entfernt umgezogen sind (ab dem 12. Lebensjahr wohnen die Jungs dort) und ich mit ihnen zwei Tage lang, ununterbrochen ihre Sachen zusammengepackt habe, was wirklich nicht einfach war und mir einige Nerven gekostet hat, bis jeder Alles beisammen hatte. Und dann besuche ich sie einige Stunden nach dem Umzug, komme in das Haus und keiner interessiert sich für mich, ja nimmt mich überhaupt wahr. Und das, wo ich so viel Energie und Arbeit in die Vorbereitungen gesteckt habe…


Solche Handlungen, die sicherlich von niemandem böse gemeint werden und gar nicht als unangemessen wahrgenommen werden, die können verletzten. Da fehlt den Menschen dort manchmal einfach das Gefühl für das angebrachte Verhalten.
Aber mit diesen Momenten wurde mir klar, dass ich, was ich hier leiste, nicht mache, um geliebt zu werden oder Dank zu erhalten, sondern weil ich weiß, dass es richtig ist. Und wenn man unter diesem Motto in Little Smile lebt, kann einen nichts aus der Bahn werfen und man kann so viele Momente des Glücks, der Freude und der Zufriedenheit genießen, die man nirgendwo so erfahren kann, wie dort in den Bergen Sri Lankas.
Michael Kreitmeir lebt das seit 11 Jahren, einer kleinen Ewigkeit vor und das, obwohl er schon von so vielen Menschen angelogen und betrogen wurde.

Der Abschied war ein Alptraum für mich, kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so traurig war. Ein Teil von mir wird aus Little Smile nicht fortgehen. Auch wenn ich weit entfernt bin, kann und will ich die Gesichter, die Menschen, einfach alles dort nicht vergessen. Ich kann nur warten, bis es wieder so weit sein wird und ich aufgeregt im Flugzeug sitze und die Stunden, Minuten und Sekunden zähle, bis ich wieder durch das Tor von Little Smile gehe. Das Versprechen, Little Smile so schnell wie möglich wieder zu besuchen, das bleibt, denn es ist ein Stück Heimat für mich und ich will all „meine“ Kinder weiter aufwachsen sehen.