Die Türe ist abgesperrt, sie will nicht reden, sie will nur noch diese eine Nacht überstehen. Die Abholung wurde bereits von den alarmierten Eltern organisiert, morgen geht es zurück an die Küste und übermorgen wieder heim nach Deutschland. Aus 6 Monaten Freiwilligendienst wurden gerade einmal 3 Tage. Nicht das erste Mal läuft der gutgemeinte Versuch, sich in einer anderen Kultur einzubringen, hier im Kinderdorf Mahagedara schief, aber nach so kurzer Zeit aufgeben, das ist fast rekordverdächtig.
Irgendwann dann am nächsten Tag war sie weg, kein „Auf Wiedersehen“. Auf Nachfrage sagte die Wächterin, dass sie abgeholt wurde, während wir alle gemeinsam unten am Tempel gebetet haben. Wollte ihr noch einige Zeilen zum Nachdenken mitgeben, aber das war wohl das Letzte was sie wollte.
Nachdenken, das ist es, was ich jetzt tue und zwar gründlich.
Als Sie mir gestern nach dem gemeinsamen Abendgebet mit den Kindern sagte, sie wolle den Freiwilligendienst abbrechen, da habe ich sie schon erstaunt gefragt, wie sie etwas abbrechen will das sie noch gar nicht begonnen hat? Nach der Ankunft durfte sie ausschlafen, danach sich einen Tag einfach nur umschauen und sich überlegen, wo sie glaubt, sich hier sinnvoll einbringen zu können? Warum nicht bei unseren beiden lernbehinderten Mädchen anfangen, mit ihnen einfach das spielen, was die mögen, wäre das nicht ein guter Start? Mein Vorschlag wurde an ihrem dritten Tag angenommen. Es sollte ihr einziger Versuch bleiben, hier irgendwas zu tun. Warum nur? Noch am selben Tag wurde mit dem Smartphone, das sie nicht wie vereinbart abgegeben hatte, die Abholung arrangiert, uns zu informieren war also reine Formsache.
Was war hier so schief gegangen, dass weder zwei Gespräche in Deutschland, noch das Studium unserer Internethomepage sie und uns vor diesem Fehlversuch bewahren konnten? Drei Tage sind wirklich trauriger Rekord und schon deshalb Grund genug, um zu prüfen, was ich, was wir hätten anders machen können oder sollen?
Unsere Offenheit, mit der wir Probleme an- und aussprechen, die Ehrlichkeit, eigene Grenzen aufzudecken. Wer Teil dieser Gemeinschaft hier werden will, auch auf Zeit, der muss damit klarkommen, dass wir hier keine Kinder streicheln und abfüttern, dass es hier nie um Schein gehen wird, sondern darum, was für jedes einzelne Kind langfristig das Beste ist. Klar, am Anfang kann das verwirren, ja sogar Angst machen aber wir gehen ja auch nicht davon aus, dass jemand nach nur 3 Tagen wieder verschwindet, jemand der viele Monate bleiben, lernen und hilfreich sein will.
Der größte Fehler war wohl, dass wir es irgendwie übersehen haben, sie vom Smartphone zu befreien, wie das ja sogar schriftlich vereinbart ist. Anka, die in erster Linie für die Freiwilligen zuständig ist, hatte wenig Zeit, musste sie Bawani doch im Bubenhaus auf Hill Top vertreten. Gerade in den ersten Tagen gibt es sehr viel was neu, was anders ist. Die oft noch jungen Frauen fühlen sich allein, sind verunsichert und merken, dass hier „helfen“ nicht gespielt wird. Man weiß zunächst recht wenig mit sich selbst anzufangen, an Hilfe für Andere ist noch nicht einmal zu denken, im Gegenteil. Man fühlt sich selbst hilflos, zumindest nicht gerade sinnvoll und gebraucht. Fast alles, was einen am Anfang verwirrt, manchmal sogar befremdet oder empört wir man im Laufe der kommenden Wochen verstehen lernen. Der Ton erscheint vielleicht manchmal hart, die Anweisungen strikt, besonders meine Rolle hier kann man am Anfang mit deutscher Wahrnehmung nicht zu- und einordnen. Genau darum ist es so wichtig, dass Jeder, der aus einer anderen Welt hierher kommt, zunächst einmal bereit ist zu hören, zu sehen, nachzudenken und sich Zeit gibt, weil das mit dem Verstehen nicht auf Anhieb klappt.
Wer aber all seine Anfangsverwirrung, all seine Unsicherheiten und Zweifel an dem, was er sieht aber (noch) nicht versteht, sofort via Handy mit der Heimat diskutieren will, der muss scheitern. Wie sollen Menschen, die diese Welt hier nicht erleben, Ratschläge geben können, wie sollen sie erkennen können, was gerade mit Heimweh, mit dem ersten Mal allein sein oder Sprachschwierigkeiten zu tun hat, wie die sehr emotionalen ersten Eindrücke zu werten sind? Und wenn das Kind im fernen Bergurwald weint, weil sich niemand um sie kümmert, weil der Kreitmeir hier so strikt und hart ist, was liegt dann näher als die „Rettung“ zu organisieren?
Ich denke an unsere ersten Freiwilligen, damals, als das mit der ständigen Kommunikation mit der ganzen Welt noch kein Grundrecht war, damals als man nicht in ein touristisches Land flog, sondern in ein vom Bürgerkrieg zerrissenes Land aufbrach, damals, als „Hilfseinsätze“ im Ausland noch nicht in und chic waren, damals als man scheinbar noch wusste, dass Hilfe ohne eigenen Einsatz gar nicht möglich ist.
|
Nach-Denken Ein offener Brief an alle diejenigen, die ausziehen wollen, um zu helfen Ich wäre so gerne um eine Erkenntnis reicher. So aber bleiben mir nur diese Zeilen und die Hoffnung, dass sie diejenigen erreichen und nachdenklich machen, die in Zukunft nach Sri Lanka fliegen wollen, der Hilfe wegen. Es gibt viele „Einsatzorte“, wo man bezahlt für Unterkunft und Verpflegung, wo man in Gruppen Gleichgesinnter sich gut fühlt, ein bisschen Basteln, ein bisschen Englisch, viel Freizeit... Dort muss man ganz sicher das Telefon nicht abgeben, kann nach Herzenslust posten und der Welt mitteilen, wie toll man gerade ist. Hier ist man dann allerdings völlig verkehrt. Ich dachte, das wäre inzwischen auf unserer Homepage klargeworden und wir betonen das auch bei allen Gesprächen. Jetzt also auch noch diese Zeilen, die mir ganz sicher nicht nur Freunde einbringen, aber darum geht es ja auch gar nicht. Um was es dann geht? Also wer es jetzt noch nicht kapiert hat... Hallo, heute, an Ihrem erst 4. Tag hier, werden Sie uns wieder verlassen. Sie haben diese Entscheidung getroffen nach nur 3 Tagen und bevor Sie mit mir oder Anka überhaupt geredet haben und das ist sehr schade. Wäre gut gewesen wenn sie sich und uns mehr Zeit gegeben hätten. Ich hoffe, dass doch einige positive Momente den Weg in ihre Erinnerung finden werden, denn, wenn sie längst wieder in ihrer beschützen Welt sein werden, dann werden wir hier weiter, Tag für Tag, kämpfen, damit Kinder nicht nur heute beschützt sind sondern dass sie all das mitbekommen, was sie in einem vermutlich nicht leichten Leben brauchen, um etwas abzubekommen von dem was man Glück nennt. Hätte, wäre, könnte... Der Konjunktiv hilft jetzt nicht mehr weiter. Zum Abschied möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben: Damit ich nicht missverstanden werde: Ich wünsche Ihnen Menschen, die es ehrlich meinen, innere Stärke und Glauben an das Gute, gerade auch in sich selbst und die Portion Glück, die man im Leben einfach auch braucht. Glauben Sie mir: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! Mein Leben hat mich gelehrt dass nichts umsonst ist, wenn wir daraus lernen. In diesem Sinn war auch Ihr Hiersein nicht umsonst, zumindest ich habe was gelernt, nämlich dass zu viel Offenheit und Ehrlichkeit, zu schnell gegeben, nicht ratsam ist, wenn jemand aus einer völlig anderen Welt kommt. Sollte ich Sie irgendwie verletzt haben, war das nicht meine Absicht. Bitte erlauben Sie sich kein Urteil über die Menschen hier und unsere Arbeit, dafür sind Sie einfach nicht tief genug eingetaucht in unser Leben hier. Für Ihr weiteres Leben wünsche ich Ihnen von Herzen alles Gute Michael Kreitmeir
|