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Sri Lanka im Mai 2006

Liebe Freunde und Wegbegleiter,
wenn Sie das Kleingedruckte in Ihrer Zeitung lesen dann haben Sie möglicherweise erfahren, dass in Sri Lanka die Scharfmacher, Kriegshetzer und Kriegsgewinnler im Moment wieder das Sagen haben, dass wieder Öl auf das Feuer von Ängsten, Vorurteilen und Neid geschüttet wird, kurz der Bürgerkrieg im Norden und Osten Sri Lankas wieder ausgebrochen ist. Eine Schlagzeile war dieser vergessene Krieg noch nie wert. Zudem: Sri Lanka hat genug Beachtung bekommen durch und nach dem Tsunami. Bevor dort nicht Touristen massakriert werden, ist das, was jetzt dort geschieht unseren Medien kaum Beachtung wert. Dabei werden im Moment so viele Hoffnungen, dass das gemeinsame Leid durch die Katastrophe des Tsunami und die gemeinsame Anstrengung des Wiederaufbaues Gräben zuschütten könnte, zu Nichte gemacht. Voller Sorge erinnern sich viele Tamilen an die Zeit Anfang der Achtziger Jahre als diese Minderheit in weiten Teilen des Landes für vogelfrei erklärt wurde, als Quälen und Morden grausame Realität waren. Und es gibt tatsächlich viele Gründe sich ernsthaft Sorgen zu machen in einem Land, in dem singhalesische Rassisten in der Regierungskoalition sitzen und nicht wenige buddhistische Mönche öffentlich einen „reinen buddhistischen Staat“ fordern. Auf der anderen Seite versuchen die verfeindeten tamilischen Terrorgruppen ihre Anhänger zu mobilisieren und wie ginge das besser als im Kampf. Also wird gebombt und gemordet, wohl wissend, dass die Armee zurückschlagen und dabei meist Unschuldige treffen wird. Gewalt wird immer neue Gewalt hervorbringen, wer Hass säht wird auch diesmal Hass ernten, darauf verlassen sich die Terrorgruppen und ihre Rechnung geht wohl wieder einmal auf. Jeder Vergeltungsschlag, jede Grausamkeit an Tamilen wird ihnen neue Anhänger verschaffen.
Dabei war der Wiederaufbau, nach zahlreichen bürokratischen Behinderungen und organisatorischen Schwierigkeiten endlich auch im Osten in Gang gekommen. Zwar wurde weit weniger Geld investiert als an der sicheren, touristischen und damit auch für die Helfer bequemen West- und Südküste, aber Ende 2005 setzte auch im so lange vernachlässigten, überwiegend tamilischen Teil Sri Lankas ein unübersehbarer Aufschwung ein.
Ein großer Tag in Kalmunai:
Am 19. Februar 2006 wird in dieser Stadt, in der durch den Tsunami etwa 4000 Kinder gestorben, das Krankenhaus und viele Schulen verwüstet wurden, der Grundstein gelegt für den Bau eines Medizinlagers und Versorgungsgebäudes sowie für ein Kinderkrankenhauses.
Die einzige moslemische Ministerin des Landes Frau Ashraff (mit rosa Kochtuch) riskiert ihr Leben um dabei zu sein. Aus dem Kinderdorf Little Smile waren mehr als 50 Kinder gekommen, Kinder wie das singhalesische Mädchen Waruni, um zu zeigen: Wir vergessen euch nicht. Es war ein Tag der Freude und Hoffnung in einer Region, in der Menschen nur selten Grund haben für Zuversicht und ein Lächeln.
Dann aber boykotierte ein Großteil der tamilischen Bevölkerung die Präsidentenwahl und spielte damit den radikalen Kräften im Land in die Hände. Vieles von dem, was in langen und mühsamen Verhandlungen erreicht schien, vieles von dem, was nach dem Tsunami begonnen wurde ist jetzt in Frage gestellt. Man sieht an der Ostküste, für die ich sprechen kann, inzwischen kaum noch Vertreter internationaler Hilfsorganisationen. Dabei hat der eigentliche Wiederaufbau im Osten gerade erst begonnen.
Vor wenigen Tagen, liebe Freunde, war ich in Kalmunai, in Batticaloa und Tricomalee. Wären da nicht überall an der Küste die Ruinen durch die furchtbare Welle, es wäre fast wie vor der Katastrophe: Kaum hatte ich die sichere Grenzstadt Ampare verlassen war ich als Weißer alleine. All die zahllosen Geländewagen von Organisationen aus aller Welt, die noch im November hier auf und ab brausten, waren verschwunden. Viele unserer Projekte sind in Kalmunai, dieser überwiegend moslemischen Stadt an der Ostküste. Ein Medizin- und Versorgungslager, das wir für die Organisation Apotheker ohne Grenzen dort bauen, ein Kinderkrankenhaus, das durch die Partner UNESCO, unterstützt vom Fernsehsender RTL begonnen wurde, Vorschulen, Häuser für Witwen mit Kindern, eine Englischschule… Es ist nicht einfach, die Arbeiter in den laufenden Projekten zu beruhigen, sie zum Weitermachen zu bewegen, wo plötzlich fast alle Vertreter von Hilfsorganisationen verschwinden. Da ist es mehr als wichtig, sich als Verantwortlicher in weißer Hautfarbe blicken zu lassen, zu zeigen, dass man keine Angst hat, dass es weitergehen wird, wenn wir uns nicht einschüchtern lassen. Kalmunai, diese Bastion der Muslim an der Ostküste ist relativ sicher, freilich gegen Selbstmordattentäter kann man sich nirgendwo schützen.
Vier Mädchen, alle sind sie zwischen 9 und 10 Jahre alt, alle leben sie im Kinderdorf Little Smile bei Koslanda.
Die vier sind Freundinnen, sie nennen sich Schwestern. Draußen wären sie Feinde, den zwei der Kinder sind Tamilinnen, zwei Singhalesinnen: Mehr noch, jedes dieser Kinder gehört einer anderen Religionsgruppe an. Doch ob Christ, Muslim, Buddhist oder Hindu, alle Religionen lehren: du sollst nicht töten!
Little Smile betreut unter anderem aber auch zwei Häuser für Mädchen bei Batticaloa, also nördlich von Kalmunai. Dank der Hilfe von STERNSTUNDEN und Children For A Better World konnten wir für mehr als 160 Kinder ein Zuhause schaffen, doch nun herrscht dort Angst. Erst vor wenigen Tagen wurden, nach einem Selbstmordanschlag auf einen Markt in Trincomalee, der überwiegend von Singhalesen besucht wird, in einem barbarischen Racheakt mehr als 20 Tamilen, überwiegend Frauen und Kinder, abgeschlachtet und verbrannt. Mit der Dunkelheit kommt die Furcht, doch diese Menschen können nirgendwo hin. Auch uns ist es verboten, die tamilischen Kinder in ein anderes Kinderheim in Sicherheit zu bringen.
Es ist leicht zu helfen, wenn einem die Menschen anerkennend auf die Schulter klopfen, aber jetzt sind keine Fernsehkameras mehr auf die Helfer und die Not gerichtet, niemand verteilt Lob oder gar Orden. Und, weit weg, in der alten Heimat, da hat man inzwischen andere Sorgen, will man nichts mehr hören von Tsunami und von Problemen in einem Land, dem man offensichtlich auch mit viel Geld nicht helfen kann.
In Kalmunai habe ich das Fahrzeug gewechselt, bin jetzt mit einem alten Taxi unterwegs. Das Risiko, dass ich wegen unserem Jeep überfallen werde, ist hier zu groß. Zudem zeigt eine Hetzkampagne gegen ausländische Vertreter von Hilfsorganisationen, Wirkung. Von Massenorgien, Prostitution, Kindesmissbrauch war da die Rede, Beweise gab es nie. Diebe und Verbrecher sind wir jetzt plötzlich für all die, die sich nicht durch den Tsunami bereichern konnten oder denen nicht geholfen wurde. So einfach ist das, man streut Lügen aus, schüchtert ein und Armee wie Terrorkommandos sind lästige Zeugen ihrer Menschenrechtsverletzungen los.
Macht es unter solchen Umständen überhaupt Sinn zu bleiben, weiter zu helfen? Kann, ja darf man das Leben seiner Mitarbeiter riskieren? Nein, das darf man sicher nicht und deswegen schicke ich auch keinen in die Unruhegebiete, der nicht von sich aus dazu bereit ist. Ich selbst habe keine Wahl, denn die Menschen dort, besonders die Kinder, vertrauen mir und sie brauchen mich, sie brauchen uns nötiger als nach dem Tsunami. Noch scheuen sich beide Seiten Weiße zu töten. Und so lange dies so bleibt kann ich ein bisschen Sicherheit und sehr viel Zuversicht schenken. Und ich werde mich dem Wahnsinn des Mordens entgegenstellen, weil wir im Kinderdorf Little Smile, allen Anfeindungen zum Trotz, gezeigt haben, dass ein Miteinander nicht nur möglich ist. Gemeinsam könnte man in diesem wunderbaren Land so viel erreichen, müsste kein Mensch leiden und kein Kind weinen. Und was heute in Little Smile möglich ist, das kann morgen auch im Norden und Osten Wirklichkeit werden, wenn wir bereit sind uns dafür auch einzusetzen.
Die kleine Angeli kam mit nur 2 Monaten zu uns ins Kinderdorf. Unser JA zu diesem Kind bedeutet, dass wir bereit sind die Verantwortung für mindestens 16 Jahre zu übernehmen.
Niemand kann sagen, was diese Zeit bringen wird, aber jedem der Kindern hilft sollte klar sein: Ich werde auch Morgen gebraucht und Übermorgen…..
Und Sie bitte ich aus ganzem Herzen uns jetzt nicht im Stich zu lassen! Besorgt wurde ich vom Vertreter einer uns unterstützenden Organisation gefragt, ob ich denn unter diesen Umständen garantieren kann, dass wir unsere Großprojekte, wie den Krankenhausbau auch abschließen können. Garantieren kann ich dafür nicht aber ich kann versprechen, dass wir durch unser Bleiben, durch unser Weitermachen mehr Zuversicht und Hoffnung schenken, als mit 1001 Versprechungen, wenn alles vorbei und wieder sicher ist, zurückzukommen.
Angst, liebe Freunde, habe ich nicht, denn ich weiß, dass ich das Richtige tue.

Ihr Michael Kreitmeir