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Osterspaziergang 2011 durch Raum und Zeit im Kinderdorf
Little Smile „Maha Gedara“

Es das erste Mal in 10 Jahren, dass ich die Ostertage keinen Besuch aus meinem alten Leben bekomme? Diese Tage im April, das ist die ideale Zeit für die Zurückgebliebenen, dem nicht enden wollenden Winter ein Ende zu bereiten. Und so kamen sie, immer an diesen Feiertagen, meine Frau, meine beiden Söhne, meine Schwester Raphaela, meine Brueder Hajo und Christoph und vor einer kleinen Ewigkeit auch meine Eltern.
Wie stark ist in mir immer noch die Erinnerung an genau diese Tage im April vor 9 Jahren lebendig, wie sehr die Bilder und Emotionen eingebrannt, als mein Vater und meine Mutter hier waren. Karfreitag und Ostern unten in unserem Tempelgebiet rund um den heiligen Boddi Baum.
Mit grenzenloser Selbstüberwindung hat sich meine Mutter danach hoch geschleppt, Stufe für Stufe, kurzatmig, damals schon schwer krank und doch den Kindern, die sie hilfsbereit, hilflos schoben, zogen, einfach bei und um sie waren, zulächelnd. One, two, three, in ihrem für diese Reise gelernten Englisch, besser, gelernt um mit diesen Kindern die auch irgendwie ihre Enkel waren, in jedem Fall Platz gefunden habe in ihrem riesigen Herz, reden zu können. Und so hat sie in ihrem keuchend ausgestoßenen Englisch gezählt, nebenbei die Kinder unterrichtet und sich selbst Mut gemacht für den schier endlosen Aufstieg. Und sie hat es geschafft, wie so Vieles im Leben.
Als meine Eltern damals Abschied nahmen spürte ich, dass es ein Lebewohl war, es kein Wiedersehen hier geben wird. Für meine Mutter war es ein Herzenswunsch, wenigstens noch einmal zu kommen, zahllose Krankheiten traten ihr den Weg, sie hat es nicht mehr geschafft.

9 Jahre ist das jetzt her, das sind 108 Monate, 3287 Tage oder 78888 Stunden, genau heute, hier und jetzt. Für mich war es schlicht vor einer Ewigkeit. Meine Mutter ist gestorben, in unserer Kapelle bewahren wir in einer Urne einen Teil ihrer Asche auf und so ist sie doch irgendwie hierher zurückgekehrt. Seitdem jenen Apriltagen vor 9 Jahren hat sich hier so viel verändert, dass es sich um ein anderes Little Smile handelt, als das, was meine Eltern damals erlebten. Und doch ist das Wesentliche gleich geblieben, das ja bekanntlich den Augen verborgen bleibt, das man nur mit dem Herzen wahrnehmen kann.

Noch immer ist hier ein Ort für Kinder, ein Flecken auf dieser Erde, der anders ist, heute mehr denn je. Vordergründig ist das die Freiheit von Müll, von Zerstörung ja Vandalismus, wie man ihn so oft antrifft, wenn Menschen sich die Natur untertan machen, sie beschmutzen, zerstören.

Die Häuser in Little Smile, auch sie sind, zumindest überwiegend, mehr als reine Zweckbauten, weil sie auch den Zweck haben, harmonisch zu sein, Ästhetik nicht als Selbstzweck aber als eine Voraussetzung um nicht nur ein Haus sondern ein Zuhause zu schaffen, das Teil der Welt ist, in der wir leben. Was Little Smile so anders macht das ist der Geist, der hier lebt, das Lächeln für und mit Kindern, die Harmonie, wie hier Menschen unterschiedlichen Glaubens und unterschiedlicher Sprache leben und leben lassen, auch die Natur mit all ihren tropischen Fassetten.
So hat sich weitab vom eigentlichen Siedlungsgebiet in der Steppe, ein Pfauenpaar im Kinderdorf eingerichtet, drei Warane und zwei Rattenschlangen betrachten Little Smile als ihr Zuhause, sind erstaunlich zutraulich und waren noch nie aggressiv.
Die Affenhorden, die mehrmals täglich nicht nur durch die Baumwipfel toben, sind hier nicht so gerne gesehen. Ihnen entgeht kaum eine Frucht, belagern regelrecht unsere Küche und nützen jeden Moment der Unachtsamkeit, um sich dann mit ihrer Beute in für uns unerreichbare Bauregionen zu schwingen. Doch wenn es nur das wäre! Nichts ist vor Ihnen sicher! Sie verwüsten auch unsere Gemüsebeete, einzig Chili ist ihnen zu scharf. Von Frauen lassen sie sich kaum, von Kindern gar nicht vertreiben, sie wissen um ihr Raubtiergebiss und ihre Stärke in der Horde.

Aber auch hier gilt, keine Regel ohne Ausnahme!
Ragu, den ich völlig entkräftet nur wenige Tage alt, im Heilkräutergarten gefunden habe, ist der gute, der brave Affe. Er hat’s ja auch leicht, seine Ziehmutter Shrima sorgt rührend um ihn, er lebt mit ihr und Luxmi in der Nähschule und muss nicht wie seine wilden Artgenossen um jedes Bissen kämpfen. Wildschweine, Bergrehe, Hasen, gelegentlich ein Leopard oder wilde Elefanten. Das 20 Hektar große Gelände des Kinderdorfes dient inzwischen vielen selten gewordenen Wildtieren als ideales Rückzugsgebiet.

Wir beginnen unseren Spaziergang am höchsten Punkt des Dorfes, dessen Gebäude so in die Natur integriert sind, ja förmlich mit ihr verschmelzen, dass wirklich Niemand von Draußen ahnt, wie weit sich das Gelände nach unten erstreckt, wie viele Gebäude sich im Grün verstecken. 2 Stunden ist das Minimum an Zeit, das man benötigt, um wenigstens einen Teil dessen zu sehen, was hier seit März 1999 entstanden ist.
Das Tor mit der traditionellen Dachkonstruktion, den kleinen Schindeln und den beide tempelartigen Pavillons, dem geschwungenen Eisengitter, den Granitsteinen, den geschnitzten Balken und vor allen Dingen den Blumen… Schon am Eingang wird deutlich, hier beginnt eine andere Welt. Ein wahres Blumenmeer hat die verantwortliche Betreuerin Saradha, die hier vor 8 Jahren als Kind „begann“, geschaffen. Schon an der Straße, der A 4, die freilich eher einem deutschen Feldweg gleicht, beginnt diese blühende und in satten Farben glänzende und auch noch duftende Barriere gegen das, was wir Draußen nennen. Kann Schönheit einschüchtern? Ich hoffe, denn wenn nicht sind unsere Anstrengungen im Eingangsbereich eines wichtigen Sinnes verlustig. Wer sich dem Kinderdorf „Maha Gedara“ nähert der sollte, Schritt für Schritt stärker spüren, dass hier etwas Anderes, etwas Schöneres beginnt, schöner für alle Sinne ganz besonders aber für das Herz.
Das große Eisentor öffnet ein kleiner Wächter, den seine Uniform, die so gar nichts Martialisches hat, noch weniger bedrohlich erscheinen lässt.
Sein breites Bubengesicht zeigt, obwohl er weit jenseits der 50zig sein muss, nicht die Spur einer Falte. Einmal, so erinnere ich mich, hat er tatsächlich eine unserer Angestellten mit einem kleinen Beutel Chilipulver erwischt. Er hat mehr geschwitzt als die Ertappte, weil er keine Fliege etwas zu leide tun kann.

Am Morgen, wenn er rund um sein Tor die Blätter weggefegt, die Arbeiter begrüßt und in sein Buch Namen und Ankunftszeiten eingetragen hat, dann wird er aus einer kleinen Plastiktüte irgendeine Pflanze auswickeln, die er von daheim mitgebracht hat um sein Reich hier weiter zu verschönern. Er hat es nicht leicht unser Wächter. Seine Frau ist schwerkrank, er muss für sie sorgen, kochen, einkaufen und eben das Geld verdienen und dafür muss er sich mit seinem Moped auf den weiten Weg machen, die löchrige, gewundene Straße hoch, lange und beschwerliche 20 Kilometer von der Kleinstadt Wellawaya bis hierher. Am Abend dann, derzeit meist im strömenden Regen, geht es den ganzen Weg, jetzt gefährlich glitschig oder völlig überflutet, zurück.
Zumindest in Little Smile hat er Gelegenheit sich immer mal wieder auszuruhen, man sieht es ihm nach, dass er fast immer zu spät das Tor öffnet, aufgeschreckt vom plötzlichen Erscheinen des Motorrads oder Autos vom Präsidenten. Wenn er dann, halb watschelnd halb rennend und mit den Armen rudernd, gerade also würde sein kleiner runder Körper sonst das Gleichgewicht verlieren, wenn er also so dem Tor entgegenhastet, dann kann man einfach nicht böse sein. Upali , sein Vorgänger, hat ihm das Salutieren gezeigt, immer und immer wieder. Doch wie er die Hand da zum Kopf führt und oft auf halbem Weg unschlüssig stecken bleibt, das wirkt weich und freundlich, ein Zuwinken fast.
Gorge Wilhelm Dissaneike, so sein Name, passt gut zu dem Eingang in eine andere Welt, die wir Little Smile Maha Gedara nennen.
Mit welcher Inbrunst wird hier landauf landab Laub gekehrt. Von einer Ecke in die andere, oft nur über eine unsichtbare Grenze geschoben, sodass der erste Windstoss die Blätter wieder verteilt, auf dass diese Arbeit nie enden möge. Der schlürfende, spröde Klang von Reisigbesen, begleitet vom Bellen der Hunde oft hysterisch hoch, das zornige Gezänk der Affen, das penetrante Stakkato-Fiepen der Streifenhörnchen und aus der Ferne wummernde Bässe beleitet von einem dünnen, wimmernden Singsang aus einer der Nachbarhütten, wenn diese Geräusche das Krähen der Hähne und das Gezwitscher zahlloser Vogelarten ablösen, dann dauert es nur noch Minuten, bis die ersten Sonnenstrahlen den Morgendunst durchbrechen.

Wir verlassen den besenschwingenden Wächter und erreichen aus dem von Bambus gesäumten Weg unser Mainhaus, das so heißt, weil es von Anfang an da war und daher lange Zeit das größte Gebäude von Little Smile war.
Vor dem Mainhaus treffen wir uns jeden Morgen zu einer kurzen buddhistischen Meditation. Hierher kommen die Kinder mit ihren Wehwehchen und Sorgen. Nie hätte ich gedacht, dass aus dem, was ich 1998 vorfand, mal so was wie ein Mittelpunkt für ein Kinderdorf werden könnte.
Als ich, auf Grundstückssuche, zum ersten Mal hierher kam, lebte der Vorbesitzer des Landes Sunil mit seiner Frau, zwei Kindern, einem Heer von Hunden und einer unüberschaubaren Menge von Ratten in diesen Mauern, über die nur Asbestplatten geworfen waren, verkleidet von einem Gewirr aus Spinnennetzen. Es war groß aber bevor es fertig geworden war, bereits der Verfall preisgegeben einfach durch Gleichgültigkeit.

Das Fundament unterspült, teilweise voller Brüche und Risse, bestand das Haus aus einem hallenartigen Hauptraum, der durch eine Stufe vom Vorraum getrennt war. Hier empfing der Hausherr die Besucher, also auch mich, als ich das erste Mal hierher kam weil ich gehört hatte, das Haus und Land zu verkaufen seien. Sunil hatte sich übernommen, allerlei Geschäfte begonnen, die nichts oder zu wenig Geld einbrachten. Offensichtlich war ihm auch der Hausbau außer Kontrolle geraten, 4 Schlafzimmer, Bad und Toilette getrennt, eine große Küche, viel Platz also. Warum aber war dann wirklich jede Ecke so voll gestopft, dass das Wohnzimmer nun wirklich nichts Wohnliches mehr hatte und sich jede Form von Sauberkeit im Dickicht aus Schachteln, Stühlen, Schränken und Abfällen verlor?
Den Hunden, den Ratten und nicht zuletzt den Ameisen war’s recht, überall gab es in diesem Haus Biotope, die von der Hausfrau ungewollt aber zuverlässig genährt wurden, indem alles, was auf dem Tisch an Essbarem übrig blieb mit einem schmutzigen Lappen zerquetscht und verrieben, schließlich über die Tischplatte gestoßen wurde um auf dem Boden zu landen. Zwar kam auch hier der Besen zum Einsatz aber an jedem Hindernis türmten sie sich auf, die Hinterlassenschaften der Mahlzeiten, ein Eldorado für Ratten und die unglaubliche Vielfalt von Ameisenarten, Käfern und anderen Insekten, die ich zum größten Teil nie vorher in meinem Leben gesehen hatte. Neben dem Haus hatte Sunil alte Holzkisten gelagert, irgendeiner längst vergessenen Geschäftsidee folgend, die nun vor sich hinfaulten und den Ratten ein ideales Rückzugsgebiet boten. Keinen, außer mir schien das alles zu stören.

Die Hunde, die den ganzen Tag stinkend im Haus vor sich hindösten und nur damit beschäftigt waren an den Parasiten zu knappern oder die Wunden der Kämpfe der vorausgegangenen Nacht zu lecken, am Abend waren sie alle verschwunden, wohl aber gut zu höre, wenn sie wild heulend auf der Jagd waren, ihre Gene weiterzuverbreiten. Im ersten Schlafzimmer waren die beiden Kinder untergebracht, so um die 10 und so noch in der Lage sich als Schwester und Bruder ein Zimmer zu teilen. Im zweiten Raum schlief Sunil und seine Frau. Nie werde ich sein Rotzen und ständiges Spucken vergessen. Vor seinem Schlafzimmerfenster hatte sich der Auswurf der ausgekauten Betel zu einem mehr als 50 cm hohen Hügel aufgetürmt, war dort verkrustet, ja regelrecht versteinert. Mehrmals täglich landete der Nachschub, rot, klitschig auf diesem Monument des Ekels, wobei Sunil beim Ausspucken recht achtlos war und so ein Teil des Breies im Fenstergitter hängen blieb und in einem roten Rinnsaal seinen Weg der Schwerkraft folgend suchte. Ein Tag und eine Nacht mit dieser Familie in diesem Wirrwarr aus Überflüssigem, Ungepflegtem und Müll, beschnüffelt und beleckt von mindestens 8 Hunden, den genauen Überblick hatte ich längst verloren, genügten, um diese Bilder für ein Leben in mir lebendig zu halten. Zudem war ich damals weit empfindlicher Schmutz und Gestank gegenüber, als das heute, nach mehr als 10 Jahren in Sri Lanka der Fall ist.
Wie anders doch präsentiert sich heute unser Haupthaus. Hier sind die wenigen Gäste, die innerhalb des Kinderdorfes wohnen können, untergebracht, finden die Treffen der Betreuerinnen und Begegnungen mit den Kindern statt, hier schlafe ich immer dann, wenn die Zeiten unsicher sind und sich kein Nachtwächter traut, seinen Dienst anzutreten.
Im vorderen Zimmer hört man bei offenem Fenster alles, vorausgesetzt man hat das was man landläufig ein Mutterohr nennt und ich habe gleich zwei davon. An meinem Fenster kann sich auch weit nach Mitternacht Niemand vorbei schleichen, jedes ungewohnte Geräusch lässt mich sofort hellwach zur Taschenlampe greifen: wenn ich im Mainhaus Stellung beziehe können alle im Kinderdorf in Ruhe und tief schlafen.
Aber noch mal zurück in die abgeschlossene Vergangenheit zu meiner ersten Begegnung mit diesem Haus im Jahr 1998. Die wirklichen Ekelprobleme begannen in dem Moment, indem man ein nur allzu menschliches Bedürfnis verspürte. Sobald man sich in die hintere Hälfte des Hauses vorwagte, traf einen wie ein Keulenschlag eine Mischung aus Essensgerüchen, dem was der Mensch nach der Verdauung davon wieder von sich gibt und dem, was Hunderte von Kilos Trockenfisch an Düften produzieren. Wer Sunil damals auf den Gedanken gebracht hat, Trockenfisch zu horten bis der Preis steigt, der muss gewusst haben, dass er und seine Familie gegen Gestank immun sind. Das hintere Schlafzimmer war also umfunktioniert zum Trockenfischlager, während die Toilette gleich daneben seit der Erbauung zwar gut besucht aber wohl nie mehr geputzt worden war.

Vermutlich hatte die Hausfrau die Konstruktion der so genannten Westerntoilette missverstanden. Solange sich die Toilettenschüssel noch über den halbversteinerten Exkrementenresten befand, konnte sich der Verrichtende mit einiger Geschicklichkeit ja noch auf dem glitschigen Rand hockend, über die Hinterlassenschaften der Vorgänger erheben. Vor der Toilette standen alte Gummilatschen, barfuss in die Scheisse zu steigen war also sogar dieser Familie unangenehm. Mir genügte ein Blick für die spontane Entscheidung das Glück der Erleichterung dann doch lieber im Dickicht hinter dem Haus zu suchen. So ein Vorhaben freilich wurde durch die Hunde erschwert, die dieses Eindringen in ihre Jagdreviere nicht gerne sahen und knurrend die eh schon schwierige Konzentration bei der Verrichtung störten. Unbeschreiblich also dieser Ort, wie ich ihn damals vorfand im November 1998, als ich hier meine erste, unvergessliche Nacht verbrachte.
Mit dem Trockenfisch verschwand nicht der Geruch, Verputz und Boden mussten abgeschlagen werden und doch duftete der Raum noch fast drei Jahre nach. Der Grundriss des Hauses ist noch so wie einst, alles andere ist so anders, wie es nur sein kann, in erster Linie sauber, Hundefrei und es gibt weit weniger Ungeziefer. Nur die Ratten, zu denen sich im Dachstuhl auch noch Tibetkatzen gesellt haben, lassen sich, gut geschützt durch die Holzdecke, nicht vertreiben eher schon umgekehrt. Sie vertreiben uns aus dem Haus wenn eines dieser Tiere verendet und in seinem Versteck, von den unvermeidlichen Gerüchen begleitet, verwest.
Wie viele Kilometer an Sützmauern wurden auf dieser gut 10 Hektar großen Welt für Kinder in den letzten 11 Jahren errichtet, wie viele Millionen von Steinen verbaut um dem oft steilen Berghang die Geraden abzuringen? 11 solcher Ebenen wurden gegraben und aufgeschüttet, bepflanzt und mit Gräben vor Erosion und Überflutungen geschützt, bevor sich dann auf ihnen, je nach vorhandener Fläche, Gebäude erhoben, die im Laufe der Jahre so mit der Natur verwachsen sind, dass sie selbst vom Bubenhaus auf dem gegenüberliegenden Berg nicht ausgemacht werden können.
Das Kinderdorf ist von oben nach unten gewachsen, begonnen bei der ersten Ebene mit dem Mainhaus zu den im Jahr 1999, eine Ebene tiefer in den Hang gebauten ersten Kinderhäusern, dem ehemaligen Sunshine Haus, das im Gegensatz zum Lucky Haus sowohl Farbe also auch Namen geändert hat, statt in rosa nun in grün erstrahlt und folgerichtig auch Green-Star Haus heißt.
Warum diese Mal- und Taufaktion? Da hier unsere 13 bis 17jährigen Mädchen leben, wollten wir, nach den unvermeidlichen Problemen, uns und den Girls die Chance zu einem Neuanfang geben.

Na ja, einen Versuch war’s wert, gleichwohl sich mit Farbe wenig ausrichten lässt gegen das, was Zig Millionen von Eltern an den Rand der Verzweiflung treibt - und nicht Wenige darüber hinaus: Die Pubertät junger Damen! Und wer glaubt, hier wären die Mädls in dieser Lebephase einfach, der wird im Green Star feststellen: Sie sind nur anders aber nicht weniger schwierig und anstrengend. Erschwerend kommt dazu, bei uns wachsen die ununterbrochen nach, sozusagen, Pubertät auf Abruf im benachbarten Luckyhaus.
Heute kann ich es selber kaum glauben, aber 1999 war ich so naiv, dass wir in die in den nebeneinander liegenden Häuser Jungs (Luckyhaus) und Mädchen (Sunshinehaus) steckten. Noch waren die ja klein – nur blieben die das nicht! Nach 2 Jahren waren die Kids und auch die Interessen am anderen Geschlecht gewachsen ein neues Haus musste her und so entstand, wieder mit viel graben auf der einen und auffüllen entlang bis zu drei Meter hohen Stützmauern auf der anderen Seite im Jahr 2001 das gewaltige Honesthaus für die Jungs.
Doch auch diese Entfernung war nun wirklich kein ernstzunehmendes Hindernis für die Herren und Damen der Schöpfung und so fand sich, mit einem Sicherheitsabstand von 5 Kilometern, oben auf dem Berg in Hill Top schließlich der passende Ort für das männliche Geschlecht jenseits der 11-Jahre-Grenze.
Das Honesthaus übernahmen unsere Zwergerl, etwa die Wisdomgirls, auf die u.a. ein ehemaliges Mädl aus dem Kinderdorf, die Samanthika aufpasst.
Getrennt vom Fernsehraum logieren hier auch noch die kleinen Buben, es gibt ein isoliertes Krankenzimmer und Räume für Betreuerinnen.
Weiter und weiter wurde die mit Granitsteinen gepflasterte Straße den Hang hinab getrieben einmal vom Platzbedarf, denn die Zahl der Kinder stieg ständig. Aber mehr und mehr setzte sich bei mir auch die Erkenntnis durch, dass wir diesen Kindern selber etwas beibringen mussten, wir also Werkstätten und Trainingszentren brauchen. Und so eroberten wir Jahr für Jahr ein Stück Wildnis, verwandelten Hecken und Büsche in Teile einer Welt für Kinder, etwa in das lange Zeit größte Gebäude des Dorfes, das Moonlighthaus. Dieses Kinderhaus war von Anfang an anders konzipiert.

Hier gibt es keinen Schlafsaal sonder 6 Kinderzimmer, in denen ein älteres Mädchen mit drei oder vier jüngeren „Little Smile Geschwistern“ zusammenlebt. Im großen Aufenthaltssaal wird bei Regen gemeinsam gebetet und meditiert, es gibt auch noch eine Krankenstation hier und ein Zimmer für die Betreuerinnen.
Im Moonlighthaus zu leben bedeutet für die größeren Mädchen ab 14 Jahren mehr Verantwortung zu übernehmen als Gleichaltrige in anderen Häusern. Und weil es in Sri Lanka unglaublich schwer ist, engagierte und liebevolle Betreuerinnen zu finden, versuchen wir hier den Grundstock zu legen, damit aus dem Moonlighthaus einmal diejenigen kommen, die zukünftigen Kindern in Not ein Lächeln schenken.
Kurz nach diesem mit bis zu 40 Kindern größten Haus macht das Grundstück einen Knick, fallen die Hänge steiler ab, sodass man erst nach dem Überqueren des Scheitelpunktes merkt, dass es weitergeht. Und wie, denn nun kommen all die Ausbildungsbetriebe, die es den Kindern nach oder anstelle der Schule ermöglichen, einen Beruf zu erlernen.
Bereits 2003 ging das Nähzentrum in Betrieb, das heute von den beiden ehemaligen Kindern, der Luxmi und der Shrima geleitet wird. Hier leben die Beiden knapp über 20ig Jährigen auch mit dem „Ziehson“ Ragu.

In Sichtweite nur etwa 15 Meter auf der anderen Seite der Straße steht unser Ayurvedahaus. Hier wird Medizin hergestellt, werden viele der Krankheiten der Kinder behandelt.
Auch ist in dem Gebäude, das ebenfalls 2003 in Betrieb ging, auch die Naturapotheke untergebracht. Verantwortlich hier auch eine Ehemalige, die Saradha.
Schließlich gelangen wir zur Schreinerei mit den imponierenden Maschinen aus Deutschland, allesamt um die Mitte des letzten Jahrhunderts gebaut. Hier entstanden und entstehen alle Möbel, alle Fenster, Türen und auch alle Holzarbeiten, die bei einem Neubau anfallen und davon gibt es in der Geschichte des Kinderdorfes ständig welche. Doch auch alle Holzarbeiten für das Ausbildungskrankenhauses in Buttala, für alle Mutter-Kind-Häuser und das Bubenheim auf Hill Top wurden hier gefertigt. Nur zwei Beispiele: Seit dem Jahr der Inbetriebnahme 2000 bis heute verließen mehr als 1000 Fenster und 190 Türen, sowie 162 Betten diese Werkstatt.

Nach der Schreinerei beschreibt die steinerne Strasse einen Bogen, ein kleiner Pfad zweigt da ab und führt zur Cabana, vor vielen, vielen Jahren aus Lehmziegeln von mir selbst errichtet.
„Drei Dinge“, so habe ich einmal gehört „sollte ein Mann in seinem Leben tun. Er soll ein Haus bauen, einen Sohn zeugen und einen Baum pflanzen.“
In Deutschland leben meine beiden Söhne, Manuel und Marco und Bäume habe ich so viele gepflanzt, dass ich sie nicht einmal mehr zählen kann, so um die Hunderttausend müssten es wohl sein.

Zahlreiche Häuser, Schulen, ja sogar ein Krankenhaus habe ich in Sri Lanka, besonders nach der Tsunamikatastrophe, bauen lassen, eines freilich habe ich Stein für Stein selbst errichtet, eben diese Cabana, in der ich früher, als die Zeiten noch ruhiger waren mir gerne mal ein paar Stunden Auszeit gegönnt habe.
Vielleicht, so meine Hoffnung, darf ich irgendwann später mich wieder hierher zurückziehen in den einfachen Lehmbau mit nur einem Raum. Ein Bett, ein Schrank, ein Tisch, zwei Stühle und eine große Veranda umgeben von Nchts als Natur und das ist alles Andere als Nichts.
Zurück zur Römerstraße, wie sie viele Besucher nennen, weil sie aus zahllosen Granitsteinen besteht.

Nach der Biegung sind wir im Jahr 2005 angekommen, denn Little Smile Maha Gedara ist von oben nach unten im Laufe der Jahre je nach Bedarf und Möglichkeiten gewachsen. Vorbei an unseren Zimtfeldern erreichen wir nun das wohl herausragendste Gebäude, das Ausbildungs- und Schulzentrum.
Nur drei Tage nach den Überfällen durch die betrunkenen und aufgehetzte Dörfler, legte ich Ende Juni 2005, gut 600 Meter unterhalb des Tores, den Grundstein für eine Einrichtung, durch die der Wert der Bildung für den Einzelnen aber auch für die Gesellschaft dokumentiert werden sollte. Kein Käfig sollte es werden, Gefängnisähnlich, wie die meisten Schulen des Landes aber auch kein funktionaler Kasten aus Gas und Beton.

Inspiriert von der Architektur der Könige des Landes, so wie vor mehr als 1000 Jahren in Sri Lanka gebaut wurde, sollten sich auf mehreren Ebenen viele unterschiedliche Gebäude zu einem großen Ganzen zusammenfügen und mit der umgebenden Natur verschmelzen.

Ein Schüler von Jeffry Baba, dem großen Architekt Sri Lankas aus dem letzten Jahrhundert war begeistert und, wie sich gut ein Jahr später herausstellte, völlig überfordert.
Und so blieb mir gar nichts anderes übrig als, unterstützt von den beiden ehemaligen Theologie- und Philosophiestudenten Shiran Silva und Anton Weresingha, auch diese Herausforderung anzunehmen und von Oktober 2006 bis zum Frühjahr 2008 den großen Ideen ein phantastisches Gebäude folgen zu lassen, ein Ort des Lehrens und Lernens, wie es ihn in der Uva Provinz, vielleicht sogar in ganz Sri Lanka kein zweites Mal gibt.

Zeitgleich entstand der Sportplatz in der Art eines griechischen Theaters, im Halbrund stufenförmig in den Hang gegraben, von gewaltigen steinernen Tribünen umgeben.
Ein Jahr später war auch das im Stil angepasste Gästehaus für Dozenten und Direktoren und die im Kolonialstil errichtete Wohnküche fertig.

Ein kleines Wunder war vollbracht vor allen Dingen angesichts all der anderen Herausforderungen, Aufgaben und Schwierigkeiten, denen sich die kleine Organisation und ihr Leiter in diesen Jahren stellen mussten und bis heute müssen.

Da ist der Bau eines Krankenhauses während des Bürgerkrieges, der Betrieb von Kinderheimen umgeben von grausamen Kämpfen, der Bau von Tsunamihäusern im Osten und Süden des Landes, Bau und Betrieb eines Ausbildungskrankenhauses für Naturmedizin und Ayurveda in der Steppe bei Buttala sowie eines Schulzentrums in Galle. Und wie schon beim Ausbildungszentrum im Kinderdorf wurde all das realisiert ohne Architekten, ohne Ingenieure oder professionelle Baufirmen, denn die hatten in Sri Lanka nach der Tsunamikatastrophe nicht nur Hochkonjunktur. Es wurde belogen und betrogen, gepfuscht und in den Sand gesetzt, dass es ein Jammer war. Weil das Klagen aber gar nicht zum Wesen von Little Smile passt, machte man das Unmögliche halt selber und damit möglich und das auch noch in einer Zeit voller Anfeindungen, ja Verfolgungen, die mit meiner Inhaftierung im Sommer 2010 ihren vorläufigen Höhepunkt hatte. Aber lassen wir das Grübeln und nehmen lieber wieder unsere kleine Reise durch Little Smile auf.
Der Sportplatz unterbricht die „Römerstrasse doch noch hat sie ihr Ende nicht gefunden, verliert sich erst vor einem Wald aus Bambus, nachdem sie mehr als 100 Meter durch Plantagen aus Bananenstauden und Rambutanbüschen geführt hat.
Ihr Ende ist der Beginn eines mit Gras bewachsenen Pfades, der zu der Kapelle führt, in der sich am Sonntagmorgen alle Kinder und Betreuerinnen zu einer gemeinsamen Andacht treffen.
Schon lange bevor man ihn sieht hört man den kleinen Wasserfall, zu dem sich der Bach neben der im Kandystil aus Lehm errichteten Kapelle aufstaut und ergießt.
Felsen laden zur Rast, zum Meditation ein. Weit schweift der Blick nach unten zum Dschungelfluss oder zu den Reisfeldern des Kinderdorfes. Betritt man jedoch das Innere des Lehmgebäudes umfängt einen Kühle und ein tiefer Frieden.
Wer sich noch weiter nach unten wagt, der sollte keine Angst vor Blutekeln haben, die sich selbst in der großen Hitze des Juli und August unter den riesigen Regenbäumen im Laub verstecken und auf ihre Chance warten. Doch es lohnt sich die Hosenbeine hochzukrempeln und die Störenfriede abzuzupfen, denn auf halber Höhe eines etwa 30 Meter hohen Hanges der zu den Reisterrassen führt wurde 2008 ein alter Höhlentempel entdeckt und wieder ausgegraben. Bitte fragen Sie jetzt nicht, wie die riesige Figur des hungernden Buddhas in dieses unwegsame Gelände geraten ist.
Es gibt so einen Satz, der ganz gut zu dem passt was hier seit 12 Jahren tagtäglich passiert: „Versuche das Unmögliches und Vieles wird möglich!“

Wenn man dann, schwer atmend und schwitzend über zahllose Stufen die Reisfelder erreicht hat, dann wird wieder einmal die Vorstellungskraft gesprengt. Wie um Himmelswillen, schaffen die nach der Ernte all die schweren Reissäcke da hoch, wenn einem schon vom Eigengewicht die Luft knapp wird?
Und wer das Glück hat, dass er von Saradha durchs Kinderdorf geführt wird, dem werden die Augen für viele Details geöffnet. So ist die junge Betreuerin, die als Kind selbst hier Zuflucht gesucht hat, nicht nur für die Pflege der Anlage und einen Teil der Organisation des Kinderdorfes verantwortlich,

Saradha verfügt auch über eine Ausbildung in Ayurveda, kennt fast jede Pflanze die hier wächst und sie liebt ihr Zuhause, ihr Little Smile. Und das spürt man, bei jedem einzelnen Schritt. Und wenn sie dann im Reisfeld mit gewinnendem Lächeln, eingehüllt in ihren bunten Sari verkündet, dass man jetzt noch nicht mal die Hälfte des Kinderdorfes gesehen hat und dass dieser Ort des Lächelns verglichen mit dem angegliederten Naturschutzgebiet eher klein ist, dann ist man einfach nur sprachlos, wie viel eine Idee, wie viel so wenige Menschen bewegen können.
Auf dem Rückweg verflucht so mancher Besucher jedes der überflüssigen Wohlstandspfunde und die Tatsache, dass man sich daheim viel zu wenig bewegt. Wohlweislich sind einige Ruhepausen möglich, etwa im Meditationsgebiet oberhalb des Schulzentrums.

Neben einem uralten heiligen Boddhibaum thront unter einem traditionellen Dach ein riesiger glänzend weißer Buddha.
Nicht weit entfernt wächst ein kolossales Kreuz aus schwarzem Ebenholz aus einem Felsen, daneben in einer Grotte die Statue der Gottesmutter, die auf dem Arm Jesus als Säugling trägt.

Das Halbrund abgeschlossen wird von einem Hindutempel der dem Erschaffer des Universums, dem Elephantengott Ganesh geweiht ist.
Bunt, in seinem Figurenreichtum fast schrill bietet er einen unglaublichen Gegensatz zum weisen Buddha und dem schwarzen Kreuz.
Wer einmal dabei war, wenn alle Kinder hier mit Kerzen oder Öllämpchen heruntersteigen um gemeinsam am Abend um 19 Uhr zu beten, am Montag und Donnerstag buddhistisch, am Dienstag und Samstag hinduistisch und am Mittwoch und Freitag christlich, der wird diese Momente niemals vergessen.
Meditativ gestärkt geht es schräg durch den fast zwei Hektar großen „Herbalgarten“ , indem knapp 450 verschiedene Arten von Heilpflanzen wachsen aus denen dann die Naturmedizin hergestellt wird, mit der fast alle Wehwehchen im Kinderdorf kuriert werden können.
Ein tempelartiger Pavillon taucht aus dem Grün auf und man darf raten, was seine Funktion ist. Dass er in seinem Inneren die mächtigen Wassertanks für das Schulzentrum versteckt, darauf ist bisher nur selten Jemand gekommen. Auch hier verschmelzen Funktion und Ästhetik, wie man es nur selten findet.

Oberhalb des Baches, vorbei an Vanille und Pfefferlianen gelangt man schließlich zu einem weiteren versteckten Kleinod.
In Nachbarschaft eines Weihers mit zahllosen Seerosen erhebt sich ein in Kreuzform errichteter Tempel, von dem aus man, beschattet von mächtigen Jackbäumen, auf die Mutter Kind Häuser blicken kann, die sich an den Hang schmiegen. Längst hat man den Überblick verloren, würde ohne Hilfe nur schwer zurückfinden.
Überall zeigt sich die Natur in ihrer tropischen Verschwendung, zahllose Variationen von Grün wechseln mit dem Bunt von Blüten und Blumen.
Ein kleiner Pfad tut sich auf, schlängelt sich den Hang hoch und erreicht schließlich verwundert die Rückseite des mit blauen Sternen bemalten Monlighthauses, aus dem Kinderlachen nach Außen dringt. Besucher werden nicht in die Kinderhäuser geführt, denn das ist Lebensraum und Heimat der Kinder, ihr Reich eben.
Wo immer einem auf dem Weg durch diese Welt von Little Smile ein Kind begegnet, ist man sprachlos vom Glanz in den Augen dieser Kinder. Was könnte die Besonderheit dieses Ortes besser spiegeln als dieses Leuchten, wo einst Trauer und Verzweiflung war.
Little Smile, das ist mehr als ein Dorf für Kinder in Not,
Little Smile ist Gestalt gewordene Vision einer schöneren, einer besseren Welt, in der Kinder leben, lachen und lernen dürfen, auf dass einige von Ihnen, so wie jetzt schon Saradha, Shrima oder Luxmi weiterführen, was mit unglaublicher Kraftanstrengung, ja mit einem Einsatz am Rande der Selbstaufgabe geschaffen wurde:
eine Ahnung davon,
wie unserer Welt sein könnte, ohne Angst, ohne Gier und ohne Neid.
Der Name für das Kinderdorf in den Bergen Sri Lankas „Maha Gedara“ bedeutet „Der Ort der Vorväter“, das „Zentrum der Familie“. Dieses knapp 10 Hektar große Gebiet mit 21 Gebäuden, mit Tempeln, eine Kapelle, Schule, Ausbildungszentren, Wohn- und Kinderhäusern ist das erste Sozialprojekt der von Michael Kreitmeir gegründeten Hilfsorganisation Little Smile. Hier lebt der Gründer und Leiter von Little Smile und von hier aus betreut er die zahlreichen anderen Projekte, von Batticaloa im Osten bis Galle im Süden Sri Lankas.