Besucher seit Januar 2005: 980675

Das Unheil kam vom „schwarzen Fluss“

Ein erster „Lagebericht“ zur Flut in Sri Lanka

Als Donnerstagnacht der Regen immer stärker wurde, der Wind Bäume entwurzelte und das Grollen des Donners die Kinder aus dem Schlaf schrecken ließ, war mein erster Gedanke: Hoffentlich sind die von uns vor knapp zehn Jahren gepflanzten Bäume oberhalb des Kinderdorfes inzwischen stark genug, um die Erde festzuhalten und so zu verhindern, dass sie ins Rutschen gerät. Hoffentlich können die Bäume das Flussbett stärken und die Gewalt des Regenwassers brechen. Die Region um Koslanda war nach dem schlimmen Erdrutsch am 29. Oktober 2014 zum gefährdeten Gebiet erklärt worden, viele Menschen an den Steilhängen haben seitdem ihre Häuser verlassen. Jedes heftige Gewitter, jeder Monsunregen macht den Menschen Angst, die Brandrodungen und Abholzungen der letzten Bergwälder gingen und gehen trotzdem weiter.
Abholzung, Brandrodung und planloses Bauen hat viele Berghänge instabil gemacht. Oft erst Stunden nach einem heftigen Regen geraten mehr und mehr Hänge ins Rutschen. Wer da unterhalb lebt, hat dann keine Chance.

An Schlaf ist in dieser Nacht vom 25. zum 26. Mai nicht mehr zu denken. Längst ist der Strom ausgefallen, es ist stockdunkel. Der Kegel meiner Taschenlampe ertrinkt in den Regenmassen, die auf mich herabprasseln. Ich kenne die kritischen Punkte im Kinderdorf, muss verhindern, dass Baumstämme Barrieren auftürmen, das Wasser umleiten. Selbst unsere gemauerten und wirklich großen Abwassergräben können die Wasserfluten nicht fassen, gut dass wir alle Kinderhäuser auf erhöhten Fundamenten gebaut haben. Ich versuche mit den Ohren das Prasseln zu durchdringen, ich weiß, wie es sich anhört wenn die Erde den Halt verliert, wenn sich zigtausende von Tonnen Geröll und Gestein an tieferen Schichten reiben. Es ist ein unheimliches Grollen, das die Erde beben lässt bevor sie diese verschlingt und mitreißt. Wer das einmal erlebt hat, wird dieses Geräusch nie mehr vergessen. Doch ich höre nur das Prasseln des Regens, die Schreie verängstigter Affen, das Fallen von Ästen, das Rauschen der windgepeitschten Bäume, das ohrenbetäubende Tosen des sonst so friedlichen Bergbaches, der durch das Kinderdorf fließt. Wenigstens das Gewitter mit seinen in den Bergen so unvorstellbar lauten Blitzen hat nachgelassen.

Mit dem ersten fahlen Morgenlicht setze ich meine Runde durch Mahagedara fort. Vom Sturm abgerissene Äste, entwurzelte Bäume, Schlamm und Felsbrocken, die Inspektion wird zu einem Hindernislauf. Was die wilden Elefanten in den letzten Wochen von unserer Bananenplantage übriggelassen haben, hat der Sturm plattgedrückt, der kleine Bergbach ist zu einem gewaltigen Fluss angeschwollen, der wirklich alles, was im Weg stand mitgerissen hat, leider auch ein Stück unseres Zauns. Es regnet noch immer, wenngleich nicht mehr so stark. Nach fast 2 Stunden kehre ich zum Haupthaus zurück, ich bin verdreckt und völlig durchnässt aber erleichtert. Die Natur, die wir nicht nur aber ganz besonders in und um das Kinderdorf schützen hat uns heute Nacht beschützt, die Bäume haben die Erde festgehalten und die Wassermassen verteilt.

Seit der Katastrophe im Oktober 2014 sitzt die Angst tief! Immer wenn in den Bergen Sri Lankas Gewitter aufziehen, flüchten viele Menschen aus ihren Häusern an den Hängen in vermeintlich sicheres Gelände. Besonders Frauen und Kinder stehen dann oft völlig durchnässt und verzweifelt am Tor des Kinderdorfes.

Nicht so viel Glück hatten dagegen viele Menschen entlang des Kalu Gange, des schwarzen Flusses. Kleinbauern aus der Gegend von Rathnapura, die für uns Gewürze anbauen und denen wir mit finanziellen Hilfen und fairen Preisen sowie zinsfreien Darlehns helfen, menschenwürdig zu leben, melden sich im Laufe des Tages. Der Fluss war innerhalb weniger Stunden zu einem reißenden Strom angeschwollen, war über seine Ufer getreten, die Zerstörungen entlang seiner fast 130 Kilometer bis zum Meer sind gewaltig. Besonders schlimm hat es die Stadt Kalutare an der Mündung des Flusses ins Meer erwischt. Das wahre Ausmaß der Katastrophe wird jedoch erst nach und nach bekannt. Fast eine halbe Million Menschen sind von der Flut betroffen, etwa 200 haben durch sie ihr Leben verloren, knapp 100 werden auch 4 Tage später noch vermisst.

Als ich am Sonntag, zwei Tage nach der Flut in Kalutare bin, werden überall Leichen aus dem Schlamm geborgen. Säuglinge sind dabei, Kleinkinder, Buben und Mädchen. Ich habe Trockennahrung dabei und Medizin für die Überlebenden, gebe alles beim Offizier ab, der die Arbeiten koordiniert. Mehr kann ich hier nicht tun, nicht heute und jetzt. Unsere Bauern in Rathnapura hatten Glück im Unglück, sind mit dem Leben davon gekommen, einige freilich haben alles verloren, viele der mit unserer Hilfe gebauten Häuser sind zerstört.
Wenn all das Aufklären und Mahnen nicht hilft, wenn selbst das gute Beispiel kaum Nachahmer findet, dann bleibt Michael Kreitmeir leider nur noch die traurige Pflicht, denen zu helfen, die Opfer von Katastrophen werden, wie der vom 26. Mai 2017, Katastrophen die von Menschen verschuldet sind.
Die Armee Sri Lankas, Katastrophenerfahren,  scheint die erste Nothilfe gut im Griff zu haben, fünf Tage nach der Flut sind fast alle Orte erreicht, die Soforthilfe mit Lebensmitteln und Medikamenten läuft. Überall wird auch im Land gesammelt, heute sogar an den beiden Schulen in unserem Nachbarort Koslanda. Die Menschen in Sri Lanka wollen ihren Landsleuten helfen, die Bilder der Flutopfer sind allgegenwärtig, dank der Smartphonedichte und dem Internet. Ich fürchte, dass bald aber neue Nachrichten kommen werden, man wird wieder einmal Geschichten hören von Spenden die nie die Bedürftigen erreicht haben, von Menschen die viel zu viel und Anderen, die gar nichts bekommen haben.
Sri Lanka verfügt über ein eigenes Ministerium für Katastrophenschutz, greift bei Naturkatastrophen auf die Hilfe der Armee zurück. Überlebende werden unter dem Beifall der Öffentlichkeit präsentiert, Leichen geborgen, die Wut der Betroffenen unter Kontrolle gehalten. Bald sind dann die schlimmsten Schäden beseitigt und man kann wieder so weitermachen wie zuvor, auch mit der Zerstörung der Natur, bis zur nächsten Katastrophe.
Nicht alle Helfer und Organisationen werden aus Erfahrung klug, wir schon! Wie schon beim Erdrutsch in Koslanda werden wir auch diesmal noch da sein, wenn die Kameras und die Hilfsorganisationen aus dem Ausland weitergezogen sind. Wieder einmal werden wir erleben, dass so mancher rätselhaft reich geworden ist, während viele, sehr viele der Opfer leer ausgegangen sind. Wieder einmal wird dann unsere Arbeit beginnen, wenn sich kaum jemand noch für die Menschen an den Ufern des schwarzen Flusses interessiert.
Wenige Wochen nach der Erdrutschkatastrophe nahe dem Kinderdorf von Little Smile erinnerte nur noch ein Trauerband und einige Bilder der Toten an das, was gegen 8 Uhr am Morgen des 29. Oktober 2014 hier geschah. Meeriyabedda, eine ganzes Dorf, versank für immer in den Schlammfluten. Längst waren all die Katastrophenhelfer wieder abgezogen. Und dann begann für Little Smile die nachhaltige und mühsame Hilfe für die Überlebenden.
Nachhaltige Hilfe braucht viel Kraft und Ausdauer, viel Wissen über Land und Leute und noch mehr Frustrationstoleranz. Mit ihr wird man weder reich noch berühmt und genau darum werden wir in einigen Monaten wieder alleine sein in den Wäldern um Rathnapura, um Wunden zu heilen und dabei zu helfen, ein neues Leben zu beginnen, diesmal mit mehr Respekt und Abstand zum Kalu Gange, zum schwarzen Fluss. Und vielleicht dämmert es dann doch so Manchem, dass sich der Raubbau an der Natur, das Abschlagen der Wälder, das wilde Siedeln, nicht auszahlen, weil am Ende ALLES seinen Preis hat. Vielleicht ändert sich ja doch mal was, vielleicht. Träumen ist erlaubt und manche Träume werden ja sogar Wirklichkeit, Little Smile ist ein Beispiel dafür.
Joga (links neben Michael Kreitmeir) hat durch den Erdrutsch in Koslanda ALLES verloren, seine Frau, seine zwei Söhne, die Schwiegertochter, das Enkelkind. Geblieben sind nur die Bilder an der Wand und die Schulden, denn auch sein Haus, sein Lastwagen, all sein Besitz war im Schlamm versunken. Kaum ein Jahr nach der Katastrophe wurde er von Banken bedrängt, hatte doch seine Frau kurz vor ihrem Tod für einen Kredit in der Verwandtschaft gehaftet. Auch der Lastwagen war von Banken finanziert worden. Joga sah keinen Ausweg mehr, wollte sich das Leben nehmen. Seine letzte Hoffnung: Little Smile. Fast genau zwei Jahre nach der Katastrophe eröffnen wir gemeinsam sein neues Zuhause. Mit der Hilfe von Little Smile wurden auch die Kredite bezahlt.
Weitere Bilder zur Flut finden Sie hier.