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Ich denke also bin ich!Warum Little Smile wieder eine Schule an der fernen Ostküste Sri Lankas bautIn strahlendem Weiß ziehen sie in schier endlosen Karawanen über sonnendurchflutete morgendliche Straßen. Die bunten Haarschleifen der Mädchen, in der Farbe der jeweiligen Schule, halten die artig geflochtenen Zöpfe zusammen, die kleinen Jungs in kurzen blauen Hosen und stolz dann die Langhosenträger ab der 10. Klasse, auch sie ganz in Weiß.
Sie quellen aus völlig überfüllten Bussen, hängen an jeder Straßenecke in dichten Trauben, artig nach Geschlecht getrennt. Polizisten blocken Straßen, wenn weißen Ameisen gleich, sich allmorgendlich überall im Land Ströme von Kindern in zahllose Schulen ergießen. Szenen wie aus dem Bilderbuch, einfach stimmig für dieses „edel leuchtende“ Touristenparadies.
Es ist noch dunkel als Mercy, Priyadarshani und Wathsala sich auf den Schulweg machen. Die drei Zehnjährigen haben keine Zeit zum Spielen, zum Lachen, keine Chance wenigstens ab und zu auch Kind zu sein, weil wer in Sri Lanka in die 5. Klasse kommt, der sieht nichts mehr anderes als Lehrer und Schulhefte. Am Ende des Jahres entscheidet eine zentrale Prüfung nicht nur darüber, ob das Kind ein Stipendium bekommt und die Chance, auf eine bessere Schule zu wechseln. Es geht auch um den Ruf der Schule, um Gelder, Planstellen und die Kariere des Direktors. Der Test ist schwer, sehr schwer sogar. Den meisten Kindern fehlt die Basis, viele können weder lesen noch schreiben, von Rechnen ganz zu schweigen. Vier Schuljahre wurden weitgehend vertrödelt, ein Sportfest hier, eine religiöse Zeremonie dort. Alleine in diesem Jahr finden auf der singhalesischen Schule 150 Veranstaltungen statt, die mit Unterricht nicht das Geringste zu tun haben. In der tamilischen Schule ist es noch schlimmer: Viele Fächer wurden gar nicht unterrichtet, weil die Lehrerin im Schwangerschaftsurlaub war oder die Schule für dieses Fach gar keinen Lehrer hat. Klar, schuld sind immer die Anderen, die Eltern und natürlich die Kinder selber.
Irgendwie hat Sri Lanka den Ruf einer guten Bildung, wo immer der auch herkommen mag. Und da von dieser Beurteilung auch ausländische Fördergelder abhängen, macht nun die Politik Druck. Das „Department of Education“, berühmt und berüchtigt dafür ständig neue Schulbücher und Lehrkonzepte vorzuschreiben, zwingt nun Lehrer massenhaft am Nachmittag in die Schule. Im Visier, die Schüler der 5. und die der Abschlussklasse. Vom morgens bis abends, ohne Wochenende, ohne Feiertag, ohne Ferien, Schule total, aber ganz ohne Nachfragen und Beteiligung der Schüler, so das Patentrezept. Immer schön abschreiben, auswendig lernen, hunderte von ehemaligen Prüfungsbögen ausfüllen, die die Eltern bezahlen müssen, aber nie fragen oder gar etwas in Frage stellen. So was setzt Prügel! Ironischerweise werden Kindergärten und Vorschulen hier „Montessori“ genannt, nach jener Pädagogin, die den damals üblichen Unterricht äußerst kritisch sah und deshalb revolutionierte: „Schule ist jenes Exil, in dem der Erwachsene das Kind so lange hält bis es imstande ist in der Erwachsenenwelt zu leben, ohne zu stören.“ Für Sri Lanka gilt das ganz sicher auch heute noch, also was bleibt als ducken und weiterkopieren. Nur punktuell legt sich die Schule mächtig ins Zeug, zumindest vom Zeitaufwand her. Schon um 6:30 Uhr beginnt für die Kinder der 5. und dann nochmal der 11. Klassen der Unterricht, der, unterbrochen nur von kurzen Pausen, nie vor 16 Uhr zu Ende ist. Und immer wird referiert, an die Tafel geschrieben und von den Kindern kopiert, sofern sie schreiben können. So gut wie nie verstehen sie, um was es geht. Todmüde und hungrig schlurfen sie am Abend zurück mit jeder Menge Hausaufgaben im viel zu schweren Schulranzen. Dabei haben es unsere Kinder noch gut, ihr Schulweg ist mit 4 Kilometern für die tamilischen und nur 500 Metern für die singhalesischen Kinder auch zu Fuß zu bewältigen. Wie allerdings all die Kinder aus den weitverstreuten tamilischen Teedörfern heimkommen, wie es um ihre Sicherheit bestellt ist, wenn sie noch in der Dunkelheit rumlaufen müssen und dass viele dann seit 12 Stunden nichts zum Essen haben, das interessiert die Macher im Bildungsministerium nicht. Als ich mich vor gut 10 Jahren zum ersten Mal offiziell beschwerte, weil jedes Kind auch ein Recht darauf haben sollte, wenigstens zu vernünftigen Zeiten zu essen und genug Schaf zu bekommen, vielleicht ja sogar ein wenig freie Zeit, da wurde ich belehrt, dass Kinder in Sri Lanka auch mit drei Stunden Schlaf auskommen würden, solange man ihnen mitten in der Nacht einen dicken, süßen Tee geben würde. Ich war einfach nur noch sprachlos und damit zum Schweigen gebracht. Und seitdem ist es noch viel schlimmer geworden mit dem Druck auf Schulkinder und ihre Eltern. Mittagessen um 17 Uhr, baden in der Dunkelheit, um dann schon wieder vor Büchern und Heften sitzen, nur um am Ende eines ganz und gar nicht schönen Jahres zu erleben, dass man Lichtjahre weg ist von der magischen Punktzahl, so wie eben fast alle anderen Fünftklässler auch. In den kommenden Jahren freilich ist dann wieder Langeweile angesagt, wird der Unterricht wieder reihenweise ausfallen, bis zur 11. Klasse, wo es dann wieder losgeht mit endlosen Tagen und Nächten vor unlösbaren Aufgaben, damit man dann ja den O -Level, also die erste Abschlussprüfung, besteht. Und weil man Mathe eh nicht schaffen muss und die Fächer, die man nicht packt später nochmal versuchen kann, dazwischen aber weiter zur Schule geht, hängen fast alle Schüler nochmal drei lange Jahre dran bis zum A-Level, den dann nur wenige bestehen und auch von denen die diese Prüfung schaffen wird fast niemand so gut sein, dass er die Chance hat auf eine Uni zu gehen, vorausgesetzt die Eltern können sich das überhaupt leisten. Warum ist der Unterricht, wenn er denn stattfindet, häufig zum Ankreuzen irgendwelcher Fragebögen, sogenannter Papers, verkommen? Warum werden Kinder in den Schulen nach Rassen getrennt, warum gibt es tamilische und singhalesische Schulen? Warum sind die tamilischen Schulen in jeder Beziehung schlechter ausgestattet? Warum kann man Lehrer werden durch Beziehungen? Warum prügeln Lehrer ohne Konsequenzen fürchten zu müssen? Warum ist Beteiligung der Schüler am Unterricht unerwünscht? Warum hat kein Schüler eine Chance ohne privaten und damit teuren Förderunterricht? Warum sind die Schüler für die Lehrer da und nicht umgekehrt? Immer nur abschreiben, auswendig lernen, reproduzieren, ja nie nachfragen und schon gar nicht denken. Opportunismus, Anpassung, Verlogenheit anstelle von Individualismus und Zivilcourage! Wie viele Konflikte habe ich bereits ausgetragen, wie oft Lehrern das Prügeln verboten ihnen sogar Prügel angedroht? Wie oft habe ich geredet, erklärt, Erkenntnisse der Pädagogik bemüht! Letztlich habe ich mir viele Feinde gemacht ohne dass irgendeiner, der fürs Lehren bezahlt wird, verstanden hätte, was Albert Camus so formulierte: Um eine Kultur zu schaffen genügt es nicht, mit dem Lineal auf Finger zu klopfen.“ Grundsätzlich gilt heute: Das Recht auf Bildung ist im Paradies Sri Lanka sowieso nur für Gutbetuchte erschwinglich, aber selbst Geld garantiert keine guten Lehrer. Überall im Land werden Eltern geschröpft, private Schulen schießen förmlich aus dem Boden. Das Schulgeld pro Monat liegt deutlich über dem, was ein Durchschnittsarbeiter verdient. In die wenigen guten Schulen hat eh nur Zugang wer ein kleines Vermögen als Aufnahmegebühr bezahlen kann. Forderung und Förderung von jungen Menschen ist jedoch auch hier meist nicht zu haben. Es geht um Punkte und sonst nichts. Ich schaue unseren drei Fünftklässlerinnen traurig hinterher wie sie einem weiteren langen und doch sinnlosen Arbeitstag in der Schule entgegengehen.
Auch ich werde gleich aufbrechen und an die Ostküste fahren. Heute, am 15. März 2017 werde ich ein weiteres Schulgebäude in dem von uns gebauten Maria Theresia College eröffnen. Weil Jammern und Schimpfen, aber auch Wut und Trauer nichts bringen und weil ich seit vielen Jahren erlebe, dass es die Carmel-Schwestern ernst nehmen mit ihrem Bildungsauftrag, haben wir diesen zweiten Schulkomplex dort gebaut. Fast genau fünf Jahre sind vergangen seit ich das nach meiner Mutter benannte Maria Theresia College eröffnet habe. Damals hat für mich das Motto „Carpe Diem – Nütze den Tag“ mein Denken und Leben gut zusammengefasst. Heute formuliere ich das, was ich künftigen Generationen, die hier zur Schule gehen werden, gerne mitgeben möchte so: „Lebe, als wenn du Morgen sterben würdest! Lerne , als wenn du ewig leben würdest!“ Und hier im Bergdschungel Koslandas bleibt mir die Hoffnung, dass es mir irgendwann doch noch gelingt, gute Lehrer zu finden und in die Provinz zu locken. Bis dahin müssen wir die staatlichen Schulen irgendwie ertragen bzw. unsere Kinder stark genug machen, sie zu ertragen und die Zeit hier zum lernen und wachsen zu nützen. Hier im Kinderdorf werden wir auch weiterhin jeden Tag aufs Neue versuchen, ein gutes Beispiel zu geben, das Richtige vorzuleben, eben das zu tun was vor sehr, sehr langer Zeit bereits ein Augustinus Aurelius empfohlen hat: „Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen“. Und das geht ja sogar, ohne dass man alle Buchstaben kennt.
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