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Gefährliche Liebe

Sie kamen, sahen und posteten

Also ganz ehrlich, ich kapier es einfach nicht! Glaubt man den Beteuerungen der Mitmenschen, die via Facebook und Co in die Welt posaunt werden, lieben wir sie alle, unsere Natur, je unberührter umso mehr. Lagunen, die im Plastikmüll ersaufen, bekommen keine Likes und Daumen nach oben gibt es auch nicht für menschenüberflutete Strände. Wo aber sollen sie hin, diese Abermillionen von Urlaubern, die jeden Tag aufbrechen? Vielleicht hilft uns weiter, wenn wir wissen, was sie suchen. Also was suchen sie?
Der Werbeslogan «Sie haben es sich verdient», ist da wenig hilfreich, denn was haben Sie sich verdient?

An dieser Stelle bitte mal das Lesen unterbrechen, Pause, Nachdenken! Was sucht Jede(r) von uns, wenn er/sie an Urlaub denkt, Urlaub plant, Urlaub macht?
Bin ich der Ballermanntyp oder eher der Möchtegernrobinson? Jane, Tarzan oder Partylöwe? Den Tag verpennen, die Nacht versaufen, es so richtig krachen lassen oder den Mond anmeditieren? Nun sind Menschen unterschiedlich, sehr unterschiedlich und deshalb müssen sich zwangsläufig auch ihre Vorlieben, was sie denn mit der angeblich „wertvollsten Zeit“ des Jahres anfangen, unterscheiden. Auch steht dem „Durchschnittschinese“, soweit er denn schon verreisen kann, der Sinn sicher nach anderen Dingen als dem „Inder on tour“, der Russe liebst es – verallgemeinert natürlich – anders als der Deutsche – oder doch nicht?
Sie merken schon, eine ganz einfache Frage, aber es ist ganz und gar nicht einfach mit der Antwort. Und darum gibt es sie ja auch, die so unterschiedlichen Angebote. Ob eingesperrt mit Tausenden, das „Kreuz auf einem Schiff erfahren“, in Bettenburgen am überquellenden Buffet anstehen, oder in der internationalen Schlange auf das grüne Licht warten, um auf einen der Achttausender zu wandern ... Die Geschmäcker sind verschieden.

Und doch, irgendwo sitzt es tief in jedem von uns, dieses Sehnsuchtsbild des einsamen Strandes, unberührte Natur, endlose Wälder, dieser Ort der Harmonie, eben weil der Mensch dort noch nicht das Ruder übernommen hat.
Und tatsächlich, es gibt sie noch, diese Plätze, an denen man einfach in Demut niederknien möchte, dem Schöpfer oder meinetwegen auch dem Urknall danken, dass so etwas Schönes entstanden ist. Früher haben wir vielleicht unserem besten Freund(in) davon erzählt, möglicherweise sogar ein Foto gemacht, vermutlich ein Dia, das irgendwann daheim die Erinnerung hat wieder wach werden lassen aber auch gezeigt hat, dass Abbildungen nie das eigene Erleben ersetzen können. Wir wussten um diesen Ort und es war ein wunderbares Geheimnis, das wir gehütet haben, damit er so bleibt. Klar, haben wir uns vorgenommen, da nochmal hinzufahren und genauso klar haben wir das nie gemacht, weil es wunderbar war, dort gewesen zu sein und die Erinnerung an die Einmaligkeit des Erlebens ein wesentlicher Teil seiner Faszination war. Irgendwann dann haben wir vielleicht davon gehört, dass auch Andere dort waren, dass unser Geheimnis nicht mehr unseres war und das hat uns ein bisschen traurig gemacht aber auch dankbar, dass wir da waren, vorher.
Wie gesagt, das war einmal, lange, lange scheint es her, in einer Welt vor dieser Zeit, in der jeder seinen Christopher Columbus ausleben kann. Entdecker als „Bringer der Zerstörung“! Jeder von uns kann das und fast jeder tut es. Wir brauchen keine Konquistadoren, keine Kanonen, keine Glasperlen, ja nicht einmal einen Grippevirus und auch kein blutüberströmtes Kreuz.
Ein Smartphone genügt, klein, handlich, immer und überall mit dem Rest der Menschheit verbunden. Ein paar Bilder gepostet, Selfie nicht vergessen, ein kurzer Hinweis, in dem unbedingt Paradies und unberührt, einmalig und unentdeckt vorkommen sollte, eine Markierung auf Google Maps gesetzt, geht ganz einfach heute und schon hat man geschafft, wozu Seefahrernationen wie Spanien, Portugal, England und Holland Jahrzehnte, ja Jahrhunderte brauchten: Ein Sehnsuchtsort, gerne auch Paradies genannt, verschwindet unter Massen von Menschen, Geschäftemachern, Lärm und Müll.
Und wie bei einem Stein, den man in den stillen Bergsee wirft und der seine Kreise zieht, unaufhaltsam, bleibt der Einfluss der Follower nicht auf das Zentrum der Entdeckung beschränkt. Wo viele Menschen hinkommen, kann man Geschäfte machen. Ein paar Buden zuerst, danach Toiletten, Gästehäuser, irgendwann ein Hotel, dann zwei, dann drei.
 
All das braucht Platz, die Natur stört, ein Baum hier, eine Straße, ein Parkplatz dort. Und dann sind sie alle da und es ist fast so wie daheim, hektisch, laut, jede Menge Einheimische, die ihren Service anbieten, für Kohle ist alles möglich. Und dann weiß keiner mehr, warum genau hier so ein Touristenzentrum ist, weil das, was den Hype ausgelöst hat, längt verschwunden ist. Egal, das Essen schmeckt, die Preise stimmen und meist scheint sogar die Sonne.

Epilog

Die besten und leider oft auch traurigsten Geschichten schreibt das Leben, Tag für Tag. All das, was ich vor knapp einem Jahr befürchtet habe, siehe auch «Sie nennen es Paradies – und zerstören es»  ist nicht nur eingetreten, es wurde viel schlimmer. Ob betrunkene einheimische Männerhorden, oder halbnackte Touristinnen, die im Bikini im Ort Koslanda nicht nur die Preise verderben, ob Handel mit Drogen oder Frauen, die Folgen der modernen Eroberer zerstören viel mehr als nur unser kleines Paradies oberhalb der Diyalumawasserfälle. Wehret des Anfängen, weil: wir wollen kein zweites Ella werden, kein beliebig austauschbarer Touristen Hotspot sein, der einige wenige reich macht und den Rest ärmer, viel ärmer, weil die Kultur auf der Strecke bleibt, nicht nur die Natur, nicht nur Anstand und Respekt, gerade auch Weißen gegenüber, den wir hier mühsam über 20 Jahre aufgebaut haben.
Ich weiß, niemand kann die Flutwelle der Menschen, die Zeit und Geld haben um zu reisen, aufhalten, schon weil es eine gigantische Geldmaschine ist. Aber warum nur muss man das, was man selber entdeckt und als wunderbar empfindet, im Internet kundtun auf dass es weggespült wird von den Menschen, die genau dieses Wunder suchen und die das dann auch wieder posten. Das Internet potenziert, der Geheimtipp ist „Aufruf zum Sturm“, zur Zerstörung. Zugegeben, man kann die „Entdeckung“ nicht aufhalten aber vielleicht doch so lange verzögern bis, so meine Hoffnung, die Menschen hier ihre Natur lieben und beschützen vor der Eintagesliebe der modernen Eroberer.
Ach ja, noch was: Man kann sich ja auch anständig aufführen, sich für Menschen und Kultur wirklich interessieren, die Natur achten und bewahren, so wie wir und unsere Gäste es seit 20 Jahren tun, es ist gar nicht so schwer.