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Die Seuche, die töten kann, ohne auszubrechen

Ich starre ungläubig auf den Tischkalender, zähle die Tage seit dem 20. März, als hier in Sri Lanka zum ersten Mal der totale „lock down“ verkündet wurde. War an diesem vorerst letzten Freitag in Freiheit bis zum letzten Moment, also bis kurz vor 6 Uhr am Abend unterwegs, um all meinen Leuten in den verstreuten Projekten Mut zu machen. Obwohl weggesperrt zu sein ist die Menschen in Sri Lanka bei Weitem nicht so ungewöhnlich wie für Europäer ist: Die letzte Ausgangssperre liegt nicht einmal ein Jahr zurück. Damals war es die Reaktion gewesen auf Bombenanschläge in Hotels und während der Ostermesse. Aber die Zwangsinternierung im eigenen Heim dauerte nie sehr lange, während diesmal kein Ende in Sicht ist. Angst hat viele Gesichter, aber wenn man etwas wie diesen Virus einfach nicht greifen kann, entgleitet vielen Menschen der Bezug zur Realität, weil man den Feind nicht sehen, nicht riechen und zunächst ja nicht einmal spüren kann.
Ich habe den Eindruck, dass niemand hier so richtig versteht, was das Ganze soll, warum selbst in entlegenen Gebieten Krankenhäuser leer geräumt werden, man sogar Schwerkranke „entlässt“, zum Sterben nach draußen jagt oder gleich gar nicht mehr aufnimmt, um Platz zu schaffen für C O R O N A. Statt Klingelton dröhnt den Menschen bei jedem Anruf die Warnung entgegen, in drei Sprachen: „Stay at home!“ Jeder hat sich irgendein Tuch vor das Gesicht gehängt, meine Staubmasken aus der Gewürzfarm waren schnell verteilt. Es ist heiß, sehr heiß und zwar seit Wochen, Brandstifter scheren sich nicht um Ausgangssperren. Auch das Grundstück rund ums Bubenheim auf Hill Top hat gebrannt. Ungläubig starre ich am Tag, vielmehr Abend, als wir und der Rest des Landes zum ersten Mal weggesperrt wurden auf die aktuellen Zahlen der Infizierten, die automatisch jeden Tag auf jedes Handy geschickt werden: 19 Infizierte, 2 Erkrankte, 1 Person vollständig genesen. 12 Tage später hat Sri Lanka immer noch weniger als 200 Erkrankte und nur 4 Tote, bei mehr als 20 Millionen Menschen. Waren all diese drastischen Maßnahmen also völlig übertrieben oder haben sie uns vor dem bewahrt, was man aus Italien, Spanien und zunehmend den USA hört? Stimmen diese Zahlen überhaupt, wie viele werden getestet, was kann man glauben? Gerüchte, die in diesem Land allgegenwärtig sind, sprechen da eine ganz andere Sprache. Jeder kennt jemanden, der angeblich infiziert ist und Terroristen setzen Corona als Waffe ein und stecken andere an…
Im Kinderdorf haben wir großes Glück! Das Grundstück ist riesig, vielfältig, bietet sogar zahllosen wilden Tieren ein Rückzugsgebiet. Wir waren schon vor dieser Krise der Welt von eben dieser weitgehend unabhängig, eine Insel auf der Insel Sri Lanka halt. Vorräte haben wir genügend, auch Platz zum Toben, Spielen, Lernen, Lachen, Weiterleben, wie es Anfang April 2020 wohl nur Wenigen vergönnt ist.

 

 

 

Ich grüble, schwitze nicht nur wegen der schier unerträglichen Hitze. So viel wird über Covid 19 geschrieben, geredet, man kann und will es einfach nicht mehr hören. Soll ich also auch noch meinen Senf dazu geben, weil oder obwohl wir diesmal zu den Privilegierten gehören?
Sri Lanka scheint Glück gehabt zu haben, man konnte aus den Fehlern in Europa lernen und hat es getan. Zudem kann in einem Land, in dem ein starker Mann das absolute Sagen hat, viel schneller und extremer reagiert werden. Diesmal schauen wir aus dem scheinbar sicheren Bergurwald Sri Lankas in ein Europa, in dem nur wenig noch so ist wie am Beginn des Jahres 2020. Mitfühlen zumindest, wenn man schon sonst wenig tun kann.
Und doch! Die Schatten, die dieser Virus bis in unsere entlegene Ecke der Welt wirft, verändern so viel, so gewaltig. Man muss gar nicht erkranken, ja nicht einmal infiziert werden, um zu leiden! Auch diesmal trifft es hier wieder die, die es immer zuerst erwischt, wenn was schief läuft…

Zwei Mal jede Woche wird die Ausgangssperre von 6 Uhr bis 14 Uhr aufgehoben, damit die Menschen einkaufen können. Das anfängliche Gedränge der Maskierten hat inzwischen nachgelassen, den Arbeitern und Tagelöhnern ist längst das Geld ausgegangen. Man lebt hier nicht nur sprichwörtlich von der Hand in den Mund, Löhne müssen wir wöchentlich auszahlen, häufig sogar noch öfter. Die einfachen Menschen haben keine Rücklagen, nur überall Schulden. Sobald also die Ausgangssperre vorrübergehend aufgehoben ist, pilgern die Hungrigen, Verprügelten, Verzweifelten an unser Tor. Es sind fast nur Frauen, gnädig verdecken die vorgeschriebenen Masken und Tücher bei vielen von ihnen die Spuren häuslicher Gewalt.“Stay at home“ ist einfach gesagt und so schwer gelebt wenn auf wenigen Quadratmetern zu viele Menschen zusammen gesperrt sind, mit Hunger, Angst und Frust auszuharren ohne zu wissen wie lange und ohne zu verstehen warum. 

Zwei Geschichten vom April 2020 aus Sri Lanka sind mit aufgefallen, sprechen mir aus der Seele und ich möchte denen, über die Singalesin Tara Kumarasinghe schreibt eine Stimme geben, damit ihre Schreie gehört werden in der Stille der Ausgangsbeschränkungen in Europa.

A Door to Close

Wash your hands. Use soap. Stay indoors.
Day one, he pushed the table over. Day two, he punched the wall near my face. Day three, it took me an hour to be able to move.
But I continued to stay indoors. Because otherwise the virus would get us.

He loved me though. Day four, we were back in love.
My name is Sara. The first time I saw Jay, I was walking on the beach. It was a beautiful romance. The sun shone straight on his face. I knew I wanted him to notice me. I’m a confident woman. I walked up to him, and asked him whether he was free for a drink.
The rest… is history. His. Story. His.

Two years later, his story left no room for mine. I can’t believe how fast it all happened. We were gloriously in love. Everything clicked. And then we bought a house. Well, I paid for it. But we’re a couple. So who’s counting, right? Most importantly, our dreams were coming true.
We had a place to call our own.
A blind to draw.
A door to close.
A way to keep the virus out.
And the monster within.

The neighbours walk past. Everyone is social distancing. We wave to each other.
They see my smiling face. I know I’m better off than most. I have a home. A place to live. A door to close. A place where I am safe.

I was allowed to work part time – I gave up full time work a year ago. Well, I was asked to give up full time work. My job had me travelling a lot, you see, and he said it wasn’t good for the relationship. He was only looking out for us.

And now since corona, I’ve been working from home, two hours daily. It makes me happy to see everyone’s faces. And to hear voices, other than the ones in my head. He always tells me I overthink.

Sometimes he’ll even wave hello to the team! They love him.
It’s the only time anyone can see me. That the world knows I have a pulse.
It’s the only time people can see inside my home. I think it’s the video calls that keep me safe.
Because I need to show up. Every day. For the morning team meeting.
Alive.

I can hear footsteps in the hallway. I need to stop writing now. This isn’t a story I can share. No one would believe me.

My name is Sara. I live in a beautiful house, with a door to close.

They Only Have the Heat

Wash your hands. Use soap. Stay indoors.
Neela akka doesn’t have water in her house. Thambi doesn’t have money to buy soap. Tharu doesn’t have a home.
Thank heavens the heat will protect us from corona.

My name is Sita. I work in a beautiful tea plantation in Dimbula. It’s a lush green district, deep in the hill country of beautiful Sri Lanka. I come from a family of tea pluckers. It’s what everyone I know does. During the day, I fill up the basket on my back with tea leaves. As it becomes full, I unload the leaves at the processing centre. At the end of the day, I receive my pay. After purchasing my daily food, I head home. It’s a simple life.

They talk about saving for a rainy day, and social security. I often wonder what they mean as I drink my cup of plain hot water. I hardly have time to sit and ponder though. My body is tired. My eyelids close before I know it.

But since yesterday they said we cannot work. A virus is lurking. It has taken the world hostage.
I have been asked to stay at home. Or I will be fined.

They didn’t mention in the warning how I will be paid. Maybe they missed that if I don’t work, I don’t get paid. And if I don’t get paid, I cannot eat. Surely the world didn’t forget about us? They always smiled with us when they came to see the plantations. It’s on every tour for the complete island experience.

Me? No, I’m not worried about corona. I’ve seen worse. And I’m too young for it, they said. No, I’m not worried about my parents either. They may not even live long enough to enter the high risk age group anyway.

I sometimes wonder if I have to stay at home so that other people can go back to work again. Is that how the cycle works? So they can go back to work – sooner rather than later – and save for their holiday. To travel to Sri Lanka. To have a delightful day trip to a tea plantation, to see where their perfect cup of Ceylon tea is made.
But maybe I won’t be there to welcome them next time. Or to give them a warm shy smile.
Neither will my friends.

Because hunger will get me first. Maybe tomorrow. Maybe next week.
Then who will pluck your tea?
What will you drink in the morning after corona?