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Quo vadis — Sri Lanka?

Situationsbericht im Mai 2022 von Michael Kreitmeir

Katastrophen und kein Ende

Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe! Der Wechselkurs ist freigegeben, das erste Mal und für fast alle, auch für mich, völlig überraschend. Stets war es der Regierung Sri Lankas gelungen, die Schuldenrückzahlungen auszusetzen und dann doch irgendwie Geld aufzutreiben, meist durch neue Schulden. Man hatte sich daran gewöhnt an dieses „irgendwie geht es immer weiter“, bis es dann Anfang März 2022 eben nicht mehr weiter ging. Zu viel war zusammengekommen. Mussten andere Länder „nur“ den Corona-Lockdown verkraften, traf es Sri Lanka schon ein Jahr früher, genauer an Ostern 2019, als in mehreren Kirchen und Luxushotels Bomben hochgingen und zahlreiche Menschen in den Tod rissen. Das Vertrauen in die Sicherheit war dahin und damit die Grundlage für den Tourismus, diesen für den kleinen Inselstaat so wichtigen Devisenbringer. Wenig später wurde „der starke Mann“, Gotabaya Rajapaksa, Bruder des früheren Präsidenten Mahinda, zum Präsidenten gewählt. Er sollte es richten, so wie er einst den Bürgerkrieg, wenn auch sehr blutig, beendet hatte.

Wiederholt war Michael Kreitmeir im Laufe der Jahre Gotabaya Rajapaksa begegnet, als  dessen älterer Bruder Mahinde noch Präsident war, Gotabaya als Verteidigungssekretär jedoch viele wichtige Entscheidungen traf. Bei der Eröffnung eines von Little Smile gebauten „buddhistischen Kulturzentrums“ hatte der Gründer von Little Smile dann Gelegenheit Gothabaya Rajapaksa ( in weiß, links neben M. Kreitmeir) seine Idee von einer besseren und gerechteren Zukunft Sri Lankas zu erläutern. Die Hoffnung auf eine Zusammenarbeit erfüllte sich dann leider nicht.

Doch die ausländischen Gäste blieben aus. Als sie dann langsam zurückkehrten, im Frühjahr 2020, weil genügend Gras über die Sache gewachsen war, mussten die Grenzen wegen des Corona-Virus völlig dicht gemacht werden, mehr als ein ganzes Jahr lang. Als man dann endlich wieder eine Touristengruppe ins Land lies, brachten diese Gäste, die übrigens aus der Ukraine kamen, den Virus mit. Corona fasste auf der Insel Fuß, führte zu Schließungen vieler Fabriken, einem weiteren Devisenbringer, da die Arbeiter fehlten.  Die waren aus den Ballungszentren, die am Meisten unter den Beschränkungen litten, in ihre Heimatdörfer zurückgekehrt, wo das Überleben einfacher war. Warum Präsident Gotabaya Rajapaksa ausgerechnet in dieser so schwierigen Zeit dachte, es wäre eine gute Idee, die ganze Landwirtschaft auf einen Schlag auf organisch umzustellen, bleibt wohl sein Geheimnis. Klar, das Land gab viele Millionen Dollar monatlich für Kunstdünger aus, Devisen, die man immer schwerer auftreiben konnte, zumal der Präsident nach seiner Wahl ein Versprechen einlöste und massiv Steuern kürzte, aber so eine Umstellung braucht Jahre. Und so kam, was vorhersehbar war: Die Produktivität der Landwirtschaft sank bedrohlich, die Ernten schrumpften, die Bauern litten nun auch, zudem mussten immer mehr Lebensmittel eingeführt werden und auch die mit Devisen bezahlt werden. Völlig im Gegensatz zu der wirtschaftlichen Lage setzte die Börse des Landes im Frühjahr 2021 zu einem regelrechten Höhenflug an, Spekulation statt Vernunft und gleichzeitig liefen die Notenpresse heiß, wurde immer neues Geld auf den Markt geworfen, um die Leute ruhig zu halten. Eigentlich war klar was passieren musste, wenn immer mehr Geld immer weniger Waren gegenübersteht. Doch von Krise redete in Sri Lanka lange niemand oder doch nur hinter vorgehaltener Hand. Man plant hier nicht lange und noch floss Geld reichlich, wer schlau war und in der richtigen Partei konnte sich hier und dort Unterstützung abholen, irgendwann wägten wir uns in einer Sicherheit, die es schon lange nicht mehr gab. Man hoffte weiter auf die Rückkehr der Touristen als Heilsbringer mit harter Währung. Als dann aber Putin die Ukraine überfiel, brach dieses Kartenhaus der Hoffnung endgültig zusammen. Dabei waren es nicht nur die weltweit nun rasant steigenden Energiepreise, die dem Land zusetzten. Bisher war Treibstoff vom Staat stark subventioniert worden, Geld das nun einfach nicht mehr vorhanden war. Zudem hatte Sri Lanka auch viele Handelsbeziehungen zu Russland und zur Ukraine. Schlimmer noch! Bei den Touristen waren es an erster Stelle Russen die in den Jahren vor Corona ins Land gekommen waren und an dritter Stelle standen die Urlauber aus der Ukraine. Die blieben nun auch noch weg, es kam zum wirtschaftlichen Supergau, als das Land keine neuen Kredite mehr bekam, um alte Schulden zu zahlen, Treibstoff zu kaufen und den Preis durch Subventionen niedrig zu halten, sowie das viel zu große und überwiegend ineffiziente Heer der Beamten und Regierungsangestellten zu bezahlen.

Geld ist letztlich doch nur Papier

Um Geld vom Internationalen Währungsfond zu bekommen musste als eine der ersten Bedingungen der Wechselkurs freigegeben werden und als das Anfang März 2022 geschah, brachen alle Dämme. Die Landeswährung, die Rupie, verlor täglich gegenüber dem Dollar. War sie bisher künstlich auf 203 LKR zu einem US Dollar festgelegt gewesen, verfiel der Wert rasant, taumelte nur 2 Monate später der 400er Marke entgegen. Nun gab es ja schon länger kaum noch Produkte aus dem Ausland, bereits mitte März war ein Importstop verhängt worden, die Angst vor weiteren Verlusten des lokalen Geldwertes führte nun zu einem wahren Kaufrausch. Die Waren wurden knapp, die Preise schnellten in die Höhe, wer konnte, der spekulierte, hielt Waren zurück. Schließlich waren selbst Grundnahrungsmittel für einen großen Teil der Menschen kaum noch zu bezahlen, was sich im Preis nur verdoppelte, galt noch als günstig. Dazu kam der absolute Mangel an Diesel und später auch an Benzin, an den wenigen Tankstellen, die noch offen waren, spielten sich beängstigende Szenen ab. Die ersten Menschen starben, Schlägereien um Kraftstoff waren nicht selten. Selbst wer bis zu 10 Stunden angestanden war, wurde dann oft weggeschickt, weil der begehrte Treibstoff inzwischen ausgegangen war.
In kilometerlangen Schlangen oft viele Stunden anstehen, um Benzin, Diesel oder Gas zu bekommen. Die Nerven liegen blank, besonders wenn auch hier geschmiert wird und viel des seltenen Kraftstoffes an Meistbietende verschachert wird und diejenigen, die keine Beziehungen haben und nicht „schmieren“ können, wieder mal leer ausgehen.
Kanister in allen Größen, noch bevor das erste der wartenden Fahrzeuge vollgetankt wird. Auch an den Zapfsäulen gilt das Recht des Stärkeren, doch Verlierer ist wieder einmal das ganze Volk, denn ab April droht dem Transport von Waren der Kollaps, viele Busunternehmen stellen aus Mangel an Sprit den Betrieb ein und auch beim Strom kommt es zu immer längeren Abschaltungen, die Wirtschaft steht vor dem Zusammenbruch.

Zuerst trifft es die Hauptstadt Colombo

Und wieder trifft es die Städte, wie schon bei Corona, am Schlimmsten. Hier müssen die Menschen mit Gas kochen, das es nicht mehr gibt, hier haben die Arbeiter keine Alternativen zu den Shops und Supermärkten, die bisher billigen Essenspakete verdreifachten sich im Preis, während die Gehälter nicht steigen, im Gegensteil. Die ständigen Stromabschaltungen legen nicht nur Klimaanlagen lahm, nichts geht mehr, keine Ampel, kein Lift, kein Elektrokocher, kein Fernseher, ja nicht einmal Ventilatoren. Die Fabriken müssen ihren Betrieb schon wieder einstellen, viele Menschen verlieren ihre Arbeit. Wieder kehren sie zurück in ihre Heimatdörfer, aber auch da holt sie die Krise ein.

Die Krise kommt zu uns aufs Land

Es war für uns ein völlig neues Erlebnis. An unserer kleinen Tankstelle bildeten sich die ersten Schlangen, man hatte die Nachrichten aus der fernen Großstadt gehört, wollte sich noch schnell einen Vorrat anlegen. 6000 Liter passen in jeden der beiden Tanks und weil sich die beiden Mächtigen im Ort gleich mal gut die Hälfte vom Diesel für ihre Baumaschinen gesichert und in großen Fässern verstaut hatten, war bald Schluss mit Diesel.

Benzin gab es etwas länger aber irgendwann hing der Schlauch auch über dieser Zapfsäule, das deutliche Zeichen dafür, dass es nichts mehr gab. Auf jedes Gerücht, es wäre ein Tanklaster im Anrollen, bildeten sich neue Schlangen, auch in unserem so friedlichen Koslanda nahm die Aggressivität zu, da der Strom für die Pumpen oft ausfiel und man nie wusste, wann er wieder kam, da man seinen vorderen Platz in der Schlange, den man sich stundenlang mit Warterei verdient hatte, nicht aufgeben wollte, war der Frust entsprechend groß. Gefährlich nahe an den Zapfsäulen brannten Reifen, die Polizei hielt sich vornehm zurück.

Obwohl wirklich jeder wusste, dass Sri Lanka Diesel, Benzin und Gas zu 100% einführen muss und seit Jahren Probleme hat mit Devisen, setzte man auf Straßen, statt das Eisenbahnnetz auszubauen, es wurden kaum alternative Energiequellen erschlossen. Als dann der Krieg in der Ukraine weltweit zu einer rasanten Verknappung und damit Verteuerung von Energie führte, versank Sri Lanka in einem Alptraum. Nichts ging mehr, wirklich nichts!

 

Mit dem Essen haben wir noch Glück, da wir am Handelsweg von Gemüse aus den Bergen liegen, die extremen Preissteigerungen freilich machen die meisten Lebensmittel für viele nahezu unerschwinglich. Ständig wurden die Schulen geschlossen, mal gab es keine Busse, die ja auch keinen Treibstoff haben, dann streikten die Lehrer oder es gab gleich einen Generalstreik. An den wenigen offenen Tagen hatten die Lehrer nichts Besseres zu tun als lange Listen an die Eltern zu schicken, was sie fürs neue Schuljahr alles kaufen sollten.
Viele versuchten in unserer Gegend selbst wieder Gemüse anzubauen und scheiterten kläglich. Heere von ausgehungerten Affen und Wildschweinen ließen sich nicht vertreiben. Wir hatten es gleich gar nicht mehr probiert, zu oft hatten wir immer nur für die Wildtiere gepflanzt, gehegt und gepflegt. Inzwischen ist die Affenplage sogar so schlimm geworden, dass die in unsere Küche eindringen und sich zähnefletschend holen, was erreichbar ist.
Man sieht die Krise auch an den vielen halb fertigen Häusern, die den streunenden Hunden ein willkommenes Quartier bieten. Im letzten Jahr war es noch zu einem regelrechten Bauboom gekommen, das Geld war vergleichsweise billig zu bekommen, da die Zinsen per Verordnung niedrig gehalten wurden. Dann wurde es immer schwieriger Baustoffe zu bekommen und wenn dann zu immer höheren Preisen, den privaten Bauherren ging die finanzielle Luft aus.

Die Mega-Krise und Little Smile

Bürgerkrieg, Tsunamikatastrophe, Corona-Epidemie. Man kann nicht behaupten, dass es eine einfache Zeit gab, seit im Jahr 1999 Little Smile in den Bergen Sri Lankas die Geburtsstunde schlug. Irgendwie haben wir jede dieser Krisen gemeistert, haben daraus viel gelernt und wurden meist sogar stärker. Aber diesmal hat es uns wirklich böse erwischt!
Noch im Februar 2022 waren 90 % aller Euroüberweisungen aus Exporten des Jahres 2021, die ich auf einem Eurokonto „angelegt“ hatte, durch eine neue Verordnung zum künstlich niedrig gehaltenen Kurs vom Staat zwangsumgetauscht worden, ich hatte plötzlich sehr viele Rupien und die verloren nach Freigabe des Wechselkurses ein paar Wochen später rapide an Wert. Gleichzeitig stiegen nicht nur die Preise, sie explodierten förmlich und es ist nur der jahrelangen Arbeit im Aufbau eines regelrechten Netzwerkes von Händlern und dem hartnäckigen Geschick von Anka Blank zu verdanken, dass wir immer genug Vorräte hatten und haben, es im Kinderdorf nach wie vor drei Mahlzeiten gibt, während draußen mehr und mehr Menschen nur noch einmal am Tag essen können und kaum noch satt werden.
Es ist eine Meisterleistung an Organisation und Logistik dafür zu sorgen, dass die wichtigen Dinge des Lebens aber auch Kleidung und Schulsachen nie ausgehen. Anka Blank kamen ihre Erfahrungen aus zwei Jahren Coronabeschränkungen da zu Gute. Mehr noch: Little Smile wurde zur letzten Hoffnung für die, die nichts mehr bekamen.
Jeden Tag, 3x für gut 100 Heranwachsende zu sorgen, trotz extremer Preissteigerungen und Lebensmittelknappheit. Und nicht einmal hat sich irgendein Offizieller interessiert, ob wir das schaffen. Nehmen wir einfach mal an die wussten, dass die da in Little Smile das schaffen, weil sie ja bisher immer alles geschafft haben.
Was uns freilich an den Rand unserer Möglichkeiten brachte und bringt ist die enorme Zunahme der Menschen, die nicht mehr weiterwissen und deren einzige Hoffnung das Kinderdorf ist, wo schon lange nicht nur Kindern, die dort leben, geholfen wird.
Was aber seit Anfang März 2022 passiert, ist dramatisch. Die Zahl der alten Menschen, überwiegend Witwen aus den Tamilendörfern, die nur noch dank der Hilfe von Little Smile etwas zum Essen haben, verdreifachte sich. Bei den verlassenen Frauen mit Kindern ist es noch schlimmer. Immer öfter genügt es nicht mehr, diesen Opfern der Krise Geld zu geben.Wir müssen immer häufiger an unsere Vorräte gehen und teilen, wohl wissend, dass nicht nur die Preise für Grundnahrungsmittel wie Reis, Dhal und Trockenfisch immer weiter steigen. Es wird zunehmend auch schwierig, die Mengen zu bekommen, die nun benötigt werden.
Gleichzeitig schrumpfen die Rücklagen, die fest verzinslich auf Sparkonten angelegt sind und an die ich vor Ablauf der vereinbarten Frist nicht rankomme, Tag für Tag im Kaufwert.
Und trotzdem: Weder in der Hilfsorganisation, der „Little Smile Assoziation“, noch in den Farmen von „Little Smile Organic“ habe ich, im Gegensatz zu den meisten Firmen im Land, jemanden entlassen oder ohne Bezahlung in Zwangsurlaub geschickt. Sollen dann auch diese Menschen betteln gehen und wenn ja, wo? Im Gegenteil. Ich habe sogar für April die Löhne und Gehälter um 20 % erhöht, nachdem ich seit Januar bereits 15 % mehr bezahle. Das ist schwer, sehr schwer zu stemmen bei so vielen Menschen, die bei uns Arbeit bekommen, zumal die Pfeffer- und Muskaternte katastrophal schlecht ausgefallen ist, vermutlich wurde das Meiste bereits von den Feldern gestohlen. Doch trotz dieser Erhöhungen weiß ich, dass es nicht genug ist, dass das Leben für meine Arbeiter, für uns Alle, immer schwieriger wird.
Die Preise für Container waren schon 2021 explodiert, hatten sich mehr als vervierfacht, Stromausfälle, kaum Transportmöglichkeiten im Land … Und als ob das nicht genug wäre nahmen Diebstähle extrem zu, waren unsere Gewürze selbst auf den Feldern nicht mehr sicher, wurden geraubt, bevor sie überhaupt reif waren. Trotzdem gab Michael Kreitmeir in den Farmen von Little Smile Organic den Menschen auch weiterhin Arbeit, genug Lohn um davon leben zu können und verhinderte so, dass diese Menschen auch in Elend und Armut abglitten.

Ein Besuch der Hoffnung

Und genau in diese so schwere Zeit platzte der Besuch meiner drei Kinder aus Deutschland hinein. Der war schon lange geplant, die Flüge gebucht. Mehr als drei Jahre hatten wir uns nicht gesehen, ich hatte die Idee, dass es doch schön wäre, das singhalesische Neujahrsfest gemeinsam hier zu feiern, sozusagen einen zweiten Start ins Jahr. Was im April 2022 kommen würde, davon hatten wir vier Monate zuvor alle keine Ahnung.
Mit der zunehmenden Krise stiegen die Bedenken, ich sammelte Diesel, um sie abholen zu können und so bekamen Sumalee, Manuel und Marco eine Ahnung, wie viel bewegt werden kann, allen Widrigkeiten zum Trotz, wenn man wirklich will und nie aufgibt. Sie sahen die langen Schlangen vor den Tankstellen und die der Hilfesuchenden vor unserem Tor. Sie erlebten die wütenden Proteste und die leergekauften Supermärkte.
Die schwarzen Fahnen der Demonstranten sollten deutlich machen, dass die Menschen es satt haben, irgendwelchen Parteien mit ihren blauen, grünen oder roten Fahnen hinterherzurennen. Es gibt nur ein Sri Lanka und das, so die überwiegende Meinung im Frühjahr 2022, wurde und wird von den Politkern zu oft verraten und ausgeraubt.
Sie waren dabei als das Kinderdorf von Menschen in großer Not regelrecht gestürmt wurde, fuhren mit in die Teedörfer, in denen das Elend wie immer zuerst angekommen war. „Papa, wo nimmst du die Kraft her?“ wollten sie wissen und erlebten die Antwort selbst, als Alte und Kranke in Tränen ausbrachen, nachdem wir Ihnen halfen ein weiteres Monat zu überleben. Wieder einmal wurde Little Smile zu einer Insel der Hoffnung, einem Ort, wo Menschlichkeit wohnt.
Manuel und Marco Kreitmeir waren als Kinder oft in Little Smile, Manuel hat hier sogar ein einjähriges soziales Praktikum gemacht, aber was sie im April 2022 hier erlebten, hat die beiden jungen Männer tief beeindruckt. Nicht nur die schiere Menge der Hilfesuchenden, sondern die Ausweglosigkeit jeder einzelnen Lebensgeschichte dieser Alten, die weder Geld für Medikamente noch für ihr tägliches Essen haben, die oft wie Tiere hausen und die keine Hoffnung mehr haben, außer Little Smile. All das hat die beiden tief bewegt.
Und noch eine interessante Erfahrung machten meine Kinder: Da nur wenige Gäste derzeit nach Sri Lanka kommen, erfuhren sie, dass überall, wo sie auftauchten, ihnen die Menschen nicht nur freundlich begegneten. Sie wurden zu Hoffnungsbringern, denn inzwischen ist nicht nur den Millionen, die in Sri Lanka direkt oder indirekt vom Tourismus leben, klar, wie wichtig es ist, dass wieder ausländische Gäste kommen. Ich bin sicher, die drei werden diesen Besuch unter schwierigen Vorzeichen, nie vergessen.

Little Smile vergisst niemand, sorgt selbst dafür, dass die Toten ein würdiges Begräbnis bekommen, etwa die kleine Tochter von Darshani, die damals ein junges Mädchen war, als Manuel hier als 17-Jähriger mitarbeitete. Dieses vierjährige Mädchen wurde Opfer der völlig unzureichenden medizinischen Versorgung im Land, ja der Gleichgültigkeit vieler Ärzte denen gegenüber, die sich gute Behandlung nicht erkaufen können. Für Sumalee, Manuel und Marco wurde der Besuch bei ihrem Vater im Jahr 2022 zu einem ganz anderen, sehr besonderen «Urlaub».

Und wenn dann der Moment da ist, wo man Wiedersehen sagen, loslassen muss, die Zeit wieder einmal viel zu kurz war, dann fließen bei manchem unserer Kinder Tränen. Michael Kreitmeir dagegen denkt in diesem Moment über die Vergänglichkeit aber auch Einmaligkeit eines jeden Moments nach und wie es mit Little Smile weitergehen wird in dieser Krise ohne Beispiel.

Blick in die Zukunft

Die Menschen sind aus einer vermeintlichen Sicherheit aufgewacht, sind wütend, gehen auf die Straße, wollen die Mächtigen, die sie für diese Situation verantwortlich machen, loswerden.
2250 Minister „leistet“ sich das kleine Sri Lanka und alle haben sie zahllose Dienstfahrzeuge, Personal und sorgen bestens – für sich selbst, ihre Familien und Helfer. Politik für das Land, das Volk, für Alle – Fehlanzeige! Zuviel ist zuviel, meint dieser Demonstrant.

Zunächst ist der Protest friedlich, im Mai folgt ein Generalstreik dem nächsten, der Präsident ruft den Notstand aus, verschärft Gesetze während es den Menschen an fast Allem fehlt. Und das Wenige, das es noch gibt wird Tag für Tag teurer.

Aber haben wir nicht alle auch Anteil an dem wirtschaftlichen Chaos, weil wir so lange mitgespielt haben, so lange es uns in den Kram gepasst hat, weil wir auf die ein oder andere Weise profitiert haben? Wie aber soll ein Neuanfang gelingen in einem Land, in dem jeder für sich selbst kämpft und der Staat nur dazu da ist, ausgenommen zu werden? Das ist kein Phänomen der da Oben, dieses Denken und Handeln geht durch alle Schichten. Weitverbreitet ist auch, gedankenlos über die Verhältnisse zu leben, Schulden zu machen von denen man genau weiß, dass man sie nie zurückzahlen kann. Auch das ist kein Privileg der Mächtigen. Aber diesmal gibt es keinen Tsunami, wo die halbe Welt die Geldtöpfe öffnet und ein Spendenregen über das Land hereinbricht und auch keine Postwar-Hilfen. Vielleicht muss man sich sogar fragen, ob in der Vergangenheit nicht zu viel und besonders zu bedingungslos geholfen wurde, ob man so nicht diese Nehmermentalität unterstützt hat, die dazu führte, dass man immer auf Hilfe wartet, ja sie erwartet und glaubt, ein Anrecht darauf zu haben anstatt sich anzustrengen und sich selbst zu helfen?
Verschwendung gibt es nicht in Little Smile und selbst wenn dann mal Schädlinge ihren Weg in unseren Reisvorrat finden. Das Sonnenlicht bringt die winzigen Käfer an den Tag, die Hitze vertreibt sie, der Rest wird per Hand bei gut 45 Grad, aussortiert. Lagerung ist den Tropen keine leichte Aufgabe, weil von A wie Ameisen und Affen über E wie Elefanten und R wie Ratten bis zu W wie Wildschweinen, alle versuchen einen Teil abzubekommen, wo immer was zum Essen ist.
Und weil die Hoffnung zuletzt stirbt versuchen wir es alle paar Jahre wieder mit dem Anbau von Gemüse und Reis und  müssen nach sehr vielen und harten Arbeitswochen erfahren, dass hier immer die anderen ernten, Wildtiere aller Art und nicht selten auch Nachbarn.
Im Mai 2022 hat die Welt andere Sorgen, kämpfen fast alle Länder mit Inflation und Preissteigerungen, drohen in vielen der ärmsten Länder, besonders in Afrika, Hungerkatastrophen, hat der Krieg in der Ukraine ein Maß der Zerstörung erreicht, das Europa nicht mehr gesehen hat seit Ende des 2. Weltkrieges und die ganze Welt in eine Energie- und Wirtschaftskrise gestürzt hat. Die Aggression und das Drohen mit nuklearen Waffen aus Russland hat dazu geführt, dass sich die Spirale der Aufrüstung immer schneller dreht, unvorstellbare Geldsummen in Abschreckung gesteckt werden, die letztendlich nicht funktioniert, wie das Beispiel Putin zeigt und Gelder da fehlen, wo sie dringend gebraucht werden, etwa zum Schutz der Umwelt, in langfristigen Maßnahmen gegen Hunger und Armut, eben da, wo sie helfen statt zerstören. Verschwinden die Lehren aus einem schrecklichen Weltkrieg, sobald die letzten Zeitzeugen gestorben sind? Manchmal frage ich mich, ob wir Menschen solche Katastrophen, Krisen, ja sogar Gewalt und Zerstörung brauchen um aufzuwachen, uns auf das Bessere in uns zu besinnen?
Ich glaube an das Gute in fast jedem Menschen, daran, dass wir es schaffen, gemeinsam unsere Erde vor der Zerstörung durch Gier und Ausbeutung weniger und dem Egoismus vieler zu bewahren, es uns gelingen kann, eine bessere, gerechtere Welt zu errichten, auch wenn der Weg dahin schwer ist und voller Rückschläge. Ich weiß aber auch, dass dies nur gelingen kann, wenn alle Menschen guten Willens bei sich selbst anfangen. Und, wir können und wir müssen lernen, jeden Tag.
Länder wie Sri Lanka brauchen Hilfe, auch weiterhin, aber ich hoffe, dass diese Hilfe in Zukunft nicht mehr so blind fließt und auch nicht eigennützig, wie so oft vorher. Die Menschen in Sri Lanka müssen lernen, dass sie kein unbegrenztes Recht haben die Hand aufzuhalten, dass Hilfe zuerst denen zusteht, die sich selbst nicht helfen können, verlassenen Kindern und Alten sowie Kranken.
„Hilfe zur Selbsthilfe“ darf nicht nur ein leeres Versprechen sein, das sich gut vermarkten lässt. Die Kinder, die hier in Little Smile aufwachsen lernen eines Tages auf eigenen Füßen zu stehen, gerade auch die Mädchen, damit sie in ihrem Leben verwirklichen können, was für mich Ziel all unserer Anstrengungen ist: „be happy and make happy“, gerade auch in schwierigen Zeiten.
Morgen für Morgen muss ein anderes Nachwuchsteam schon in der Dunkelheit um Vier, überwiegend auch noch bei Stromausfall in der Küche für das Frühstück von gut 100 Kindern sowie für deren Schulbrotzeit sorgen. Wenn dann kurz nach 6 Uhr die Sonne aufgeht ist das Essen aber auch die 13 und 14jährigen fertig, aber Letztere auch stolz und mit Recht zufrieden. Hier bewahrheitet sich wieder der alte Spruch: Nicht für die Schule für das Leben lernen wir!
Immer wieder Samstag dürfen unsere Kleinen ran und sind mit Begeisterung dabei, wenn sie mit ihrer Lehrerin Dilka kochen dürfen. Das Ergebnis wird dann stolz Lokuthaththa und Anka präsentiert, die großzügiger Weise probieren dürfen, bevor als Lohn die Arbeit verspeist wird. Starke Frauen braucht das Land!

Epilog

Am 9. Mai blickt die Welt nach Moskau. Putin beschwört bei seiner Siegesfeier den Weltfrieden und führt den Krieg gegen die Ukraine fort. An diesem Tag stirbt in Sri Lanka die Hoffnung auf eine friedliche Veränderung. Protestierende werden von Schlägertrupps angegriffen, es gibt viele Verletzte, die Wut und mit ihr die Gewalt eskalieren. Häuser von Ministern werden angegriffen, der Premierminister und frühere Präsident Mahinda Rajapaksa tritt zurück, die Wut bleibt. In der Nacht wird eine Ausgangssperre verhängt, für die ganze Insel. Wie geht es weiter?

Am Morgen des 10. Mai 2022 macht sich in mir eine tiefe Niedergeschlagenheit breit! Als mich dann aber die Kinder mit einem fröhlichen «good morning!» begrüßen, weil wieder einmal die Schule ausgefallen ist, reiße ich mich zusammen, lächle zurück. «Good morning!»
Wenig später schleichen einige Arbeiterinnen ins Land. Sie brauchen das Geld, jeden Tag, um zu überleben. Und ich lächle wieder: «No problem!» Und dann fällt mir eines der Zitate ein, die mir in der Vergangenheit immer wieder Kraft gegeben haben:
«Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.» (Vaclav Havel)