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Müde

23 Jahre Kampf für Kinder in Not in Sri Lanka

Wer kennt nicht das Gefühl, dass es einfach zu viel wird, nichts mehr klappen will, es so scheint, als habe sich die ganze Welt gegen einen verschworen? Stimmt schon, der Mensch hält viel aus und man gewöhnt sich zudem an Vieles, aber auch da gibt es einen Punkt wo man, je nach Temperament, entweder lauf schreien möchte, oder weglaufen und sich verstecken.

Müde Teil 1: Ohnmacht und Endzeitstimmung
Viele von uns leben Ende 2022 in einer resignativen Grundstimmung, manche gar in einer Endzeitstimmung. Der Krieg in der Ukraine, die fast täglichen Drohungen eines Despoten, sollte er nicht bekommen was er will, dann halt mal die Welt auszulöschen… Selber schuld, er habe schließlich alle gewarnt. Dabei vergisst dieser größenwahnsinnige 73jährige, dass fast alle nie gefragt werden, Sie und ich ihm nicht mal die Ukraine schenken könnten, um das Schlimmste zu verhindern. Ich erinnere mich an einen Slogan aus meiner Kindheit, der das ganze Grauen des kalten Krieges damals zusammengefasst hat: „Lieber tot als rot“. Oder hieß es doch „Lieber rot als tot“? Als damals die Kubakrise um ein Haar zum nuklearen Krieg geführt hätte, da lag ich in den Windeln, wusste von nichts und hatte daher auch keine Sorgen. Wissen wir also einfach zu viel? Bringt uns diese ständige Flut an Nachrichten nicht langsam aber sicher um den Verstand, saugt uns zumindest das Mark aus den Knochen?

Wer hätte gedacht, was für ein Monstrum das Internet werden würde als man staunend die ersten Mails bekam? „Social network“, was für ein Hohn! Nichts könnte weniger sozial sein.
Und so wendet sich der zivilisierte Erdenbürger mit Grauen ab, feiert erst recht, sollte er trotz Inflation und steigender Preise genügend Geld haben, etwa auf dem Münchner Oktoberfest, oder Partys rund um eine Fußballweltmeisterschaft in einer Wüstendiktatur im November. Der Ball rollt, Corona war gestern! Und wenn’s morgen wieder kommt, scheiß drauf!
Ein grausamer Krieg im Osten Europas degeneriert zu einem Schaukampf, beobachtet und kommentiert von so vielen Fachleuten. „Einer wird gewinnen“ oder doch eher „der Preis ist heiß“? Im Schatten all des Mordens von überwiegend Unschuldigen, Menschen, die einfach nur in Frieden leben wollen, lassen sich vortrefflich Geschäfte machen. Gestern waren es die Coronamasken und heute sind es die Ölmultis und die Waffenproduzenten, die so richtig Reibach machen, mit dem Segen und meist auch der Unterstützung der Politiker auf beiden Seiten. Geld stinkt nicht und blutet auch nicht, es lässt sich zudem vortrefflich sauberwaschen, auch dafür haben die, die angeblich die Macht haben, gesorgt.

Müde Teil 2: Apokalypse now?
„Friday for Future“, auch das war gestern, kommt sogar vor wie vorgestern, jedenfalls ist die kurze Illusion, der Mensch könnte doch lernen, umdenken, auch kommenden Generationen eine Chance geben, einer Art von Götterdämmerung gewichen. Kommt es mir nur so vor als würden immer mehr Staaten von Populisten und Faschisten übernommen? Kürzlich wurde in Italien gewählt: Italien den Italienern! Wofür sonst hat Gott dieses Land mit einem Meer umgeben, in dem „unerwünschter Besuch“ spurlos verschwindet?
Es wird kalt in Deutschland und damit meine ich nicht nur die AfD, sondern auch die Temperaturen. Viele fürchten, zum ersten Mal in ihrem Leben frösteln zu müssen, in der eigenen Wohnung. Sind 18 Grad in den eigenen vier Wänden und auch in öffentlichen unzumutbar, in einem Land, in dem Winter für Winter Obdachlose unter Brücken frieren und auch erfrieren? Ist es in Ordnung Rentner zu besteuern bis fast nichts mehr übrig bleibt, während es einen Fußballspieler gibt, Mbappe heißt der, der am Tag 361.000.- € „verdient“, Werbeverträge noch gar nicht mitgerechnet. Ja, die „schönste Nebensache der Welt“ ist auch zu einem Monstergeschäft verkommen, Weltmeisterschaften werden verkauft, der Weltfußballverband gleicht einer modernen Mafia, wer zahlt schafft an und gewinnt meist auch. Die Zeiten von einem Uwe Seeler und Gerd Müller, längst dahin.
An was also kann man sich noch freuen, selbst wenn man verdrängt, dass ein Knopfdruck genügt - und nie so wahrscheinlich war -  und es ist eh AUS? Sollen wir einen Wettbewerb ausrufen, welches Land die schlimmste Dürre hat und welches die größten Überschwemmungen? Es zählt die Zahl der Toten oder doch der materielle Schaden?
Haben wir uns an den Wahnsinn bereits gewöhnt, weil er alltäglich geworden ist? Die Apokalypse ist nicht morgen, wir leben mitten in ihr und ärgern uns, dass das neue iPhone so teuer geworden ist, oder die Flugpreise in den wohlverdienten Urlaub? Übrigens: Billig ist es für Urlauber in den Ländern, in denen die Mehrheit der Menschen ausgebeutet wird, nur so kann sich auch der Durchschnittsverdiener in Germany in fernen Ländern verwöhnen lassen, in Ländern wie Sri Lanka etwa. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass solche Länder regelrecht darum betteln, dass die lieben Touristen doch bitteschön kommen, weil sie ja Geld im Land lassen, wenngleich es natürlich die Reichen auch in Sri Lanka sind, die vom Tourismus am Meisten kassieren, fast alles sogar.

Es gibt eine Lösung und der Staat in Sri Lanka hilft dabei sogar mit seinen häufigen Stromabschaltungen: Internet aus, Fernseher aus. Warum denn in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nahe.
Also freuen wir uns an der wunderbaren Natur, etwa rund um und im Kinderdorf, sattes Grün wohin man schaut, ein Stück heile Welt, in der sogar Mensch und Tier friedlich zusammenleben. „They call it paradise“, wobei mit „they“ Touristen gemeint sind und Kurzzeitbesucher.

Und plötzlich sind Putin und Kollegen Diktatoren so weit weg, so lächerlich, zumindest solange sie nicht auf den Knopf drücken. Aber wir haben uns ja freigesagt vom negativen Strom der News und müssen uns deshalb auch keine Gedanken machen, ob die nun stimmen oder „fake“ sind. Was für ein Wort „fake“ klingt fast wie „fu..“. Stopp, wir wollen uns ja auf das hier und jetzt konzentrieren, tief durchatmen, Augen und Seele öffnen, die bleierne Müdigkeit, geboren aus Ohnmacht und Resignation, abstreifen.

Müde Teil 3: Die natürliche Ordnung – das war einmal!
Paradiesisch finden alle Gäste die zahllosen Bäume, davon viele mit Früchten, die auch der Schöpfung jenseits des Menschen schmecken, daher auch all die Vierbeiner, die sich Tag und Nacht hier breitmachen mit der Begründung: Evolutionstechnisch waren wir alle vor dem Menschen da, haben also ältere Rechte! Von winzigen Termiten, die die Häuser regelrecht auffressen und sich selbst von Beton nicht stoppen lassen bis zu wilden Elefanten, die längst kein Schutzzaun mehr aufhalten kann, auf der Suche nach immer knapper werdendem Lebensraum und Futter. Die Spanne ist groß und da passt so viel rein! Da sind die Squirrels, hier Lena genannt, so eine kleinere Version von Eichhörnchen, die Kleider anknappern zum Nestbau, Hölzer durchnagen, Isoliermaterial sowieso. Spezialisten für Kurzschlüsse sind auch die Ratten, denen alles schmeckt und die an Ort und Stelle mit ihrem Kot bezahlen. Pfaue schauen toll aus, besonders wenn die Männchen Räder schlagen, aber neben Samen und allen Körnern schmecken diesen Tieren, die es im Kinderdorf zu Hauf gibt, auch die Triebe der Zimtpflanzen und nicht nur die. Auch hier wird als Dank alles vollgeschissen, schön flüssig, damit das wegwischen auch so richtig Freude macht. Wenigstens in der Nacht geben die Ruhe, außer sie hören irgendetwas, das sie stört und dann brüllen sie los, dass man senkrecht im Bett steht, bis man sich auch an diese Laute gewöhnt hat. Ihre Aufgabe, alles vollzuscheißen übernehmen jetzt die Fledermäuse und fliegenden Hunde. Angeblich sind die ja selten, nicht so bei uns. Überall hängen die rum, verdauen und hinterlassen an den Wänden dann lange, braune Kotspuren. Besonders toll ist das in Türmen, von denen ich leichtsinniger Weise einige gebaut habe. Da müssen wir zum Putzen dann Gerüste aufbauen. Da hat man es mit den Hinterlassenschaften der streunenden Hunde, die in der Nacht hier in Scharen unterwegs sind und ihre Notdurft bevorzugt unter Dächern ablegen, etwas leichter, angenehm ist das trotzdem nicht. Was besucht uns sonst noch in der Nacht? Wildschweine natürlich, wobei sich die Hunde ärgerlicherweise mit denen abgesprochen haben und so etwas fertig bekommen, was so vielen Menschen nicht gelingt, friedliche Koexistenz. Auch die Elefanten kommen nur in der Nacht und bei denen ist dann der Kot das geringste Problem. Bananenstauden, Kokosnussbäume und Arecanutpalmen stehen auf der Speisekarte und vieles mehr. Zudem ist es nicht ratsam, sich diesen Riesen in den Weg zu stellen. Helden leben meist verdammt kurz!  Die einst friedlichen Dickhäuter werden überall vertrieben und reagieren zunehmend aggressiv. Kaum ein Monat, in dem nicht ein Zweibeiner diese Begegnung mit dem Leben bezahlen muss und auch immer mehr Elefanten sterben, weil sich die Bauern mit Starkstrom wehren.

Doch all diese Viecher zusammen sind nicht halb so schlimm wie unsere nächsten Verwandten im Tierreich, was sicher auch daran liegt, dass sie außer mich ärgern, fressen und alles Mögliche kaputtmachen hauptsächlich die Vermehrung im Sinn haben. Kaum vorstellbar, dass ich vor knapp 20 Jahren meinem Bruder Hajo bei einem Besuch hier seinen Wunsch nicht erfüllen konnte. Er wollte Affen sehen. Heute ist es unmöglich auch nur zehn Schritte zu tun, ohne auf eines dieser Tiere zu stoßen. Sie sind allgegenwärtig!
Kaum zu glauben, dass der Hutaffe, eine Makakenart, die es nur in Sri Lanka gibt, als gefährdet eingestuft ist. Hier teilen sich gleich mehrere Gruppen von je mehr als 50 Tieren dieses Paradies. Kaum ist eine Horde vertrieben, späht schon die Vorhut der nächsten, wann sich dieser schimpfende Typ endlich verzieht. Würden sie nur all unsere Früchte stehlen, könnte ich ja noch ein Auge zudrücken. Doch diese Typen reißen Ziegel aus den Dächern und steigen in Häuser ein, quetschen sich durch Gitterstäbe und erspähen jede offene Türe. Nichts ist vor diesen Räubern sicher. Da die Rangordnung in den Gruppen eine wichtige Rolle spielt, wobei die Männchen immer dominieren, übertragen sie das auch bei der Einteilung der Verwandtschaft, uns Menschen.

Kinder können sie gar nicht beeindrucken, egal wie sie auch schreien und auch Frauen wird der gebührende Respekt meist verweigert. Immer muss ich kommen, wobei sie so schlau sind, dass sie genau wissen, dass ich ihnen etwa auf dem Motorrad sitzend, nichts anhaben kann. Selbstversorgung mit Obst und Gemüse, wie wir sie früher hatten, ist nur noch ein ferner Wunschtraum.

Und dann gibt es ja auch noch die grauen Languren, mit ihren kleinen, schwarzen Gesichtern, ihrem weißen Bart und den langen Hinterbeinen. Bis zu 78 cm werden die groß und Männchen können auf ein Gewicht von 20 kg kommen, klar, dass die eine Menge an Blättern, Früchten und Samen verdrücken müssen.

Auch bei diesen Tieren, die überwiegend in den Baumwipfeln leben, ist die Masse der Tiere das Problem. Zwei Gruppen fühlen sich bei uns wohl, jede so um die 80 Tiere stark. Das schafft die Natur nicht, viele der Bäume werden regelrecht entlaubt, immer und immer wieder, bis sie absterben.

Von den Wurzeln (Wildschweinen) bis zu den Wipfeln (Languren) stehen die Pflanzen unter Dauerstress. Und so bietet selbst unsere Oase nicht genug Raum und Futter für all die Vertriebenen von da draußen, denn auch in Sri Lanka wird munter abgeholzt, wen kümmert schon eine Klimakatastrophe, wenn alles so schön grün ist.

Und so werde ich auch ohne all die negativen News von draußen müde. Sehe jeden Morgen die Verwüstungen der Nacht, schreie den Affenhorden nach, die vermutlich über mich lachen, kann Tag für Tag zerbrochene Dächer richten und zerschlagene Fensterscheiben (auch eine Spezialität der Pfaue) austauschen lassen, reparieren, putzen, neu pflanzen, ein endloser Kreis.

Und wenn ich doch mal denke, es würde besser, stehe ich wieder machtlos vor den Waldbränden in unserem Naturschutzgebiet und den Farmen, weil den Menschen darf man natürlich nicht vergessen als Zerstörer der eigenen Lebensgrundlagen, dabei sollte der das doch wenigstens besser wissen. Tut er ganz offensichtlich nicht. Das Lied der Berge singen auch hier längst die Motorsägen.
 

Wann ist es eigentlich so schlimm geworden? Ich glaube, seit der Bürgerkrieg vorbei ist, also seit fast 15 Jahren. Seitdem wird hier in Sri Lanka ein Krieg gegen die Natur geführt, von Touristen weitgehend verborgen und wir in den letzten Rückzugsgebieten zahlen die Zeche.
Habe ich mir zu viel aufgehalst? – Sicher!
Habe ich nicht bedacht, dass die Kräfte nicht mehr werden, dass 23 Jahre „im Paradies“ nicht spurlos an mir vorübergehen? – Auch das!

Ich falle jeden Abend halbtot ins Bett und weiß, sie kommen. Manche lautlos, andere mit Getöse. Wie viele Nächte habe ich mir in all den Jahren um die Ohren geschlagen, habe sogar Elefanten in die Flucht geschlagen, Wildschweine und streunende Hunde verjagt und all die anderen Viecher, deren Namen ich teilweise nicht einmal kenne. Es waren immer nur Scheinsiege, sie kamen immer und immer wieder. Es tut mir weh, wenn ich all die verwüsteten Blumen sehe, all die Fruchtbäume, von denen wir nie eine Ernte bekommen werden, ich leide, wenn wieder einmal einer der Baumriesen geschwächt dem Novembersturm nicht mehr trotzen kann…
Gestern lief mir ein gut zwei Meter langes Reptil über den Weg, die Verwandtschaft zu den Dinosauriern war nicht zu leugnen, natürlich Mitten im Kinderdorf. Wo er herkam, wo er hinging? Keine Ahnung aber auch dieses vorzeitliche Wesen findet es offensichtlich lebenswert hier in Little Smile. Ich sah die Echse an, sie sah mich an, züngelte und plötzlich hatte ich das Gefühl, dass wir beide das Gleiche denken: Wer ist schon länger auf diesem Planten, hat also die älteren Rechte?

Müde 4: Nichts ist von Dauer – oder gibt es doch etwas?

Müde 4: Nichts ist von Dauer – oder gibt es doch etwas?
Ich habe es versucht, alles gegeben und das wird auch so bleiben, solange ich die Kraft dazu habe. Nichts ist von Dauer! Warum tröstet mich das nicht? Oder bleibt doch etwas? Bin ich nicht wegen Kindern, die Hilfe brauchen, in dieses Land gekommen?  Die Kinder, die heranwachsen, uns so viele Sorgen machen und dann gehen, in ihr Leben, während wieder neue Kinder in Not hier Zuflucht finden, ein Zuhause auf Zeit und Liebe für immer, auch wenn sie mich später da draußen vermutlich vergessen.
Kinder in Not und Little Smile, ja das ist ein Thema, über das es auch so viel zu sagen gäbe über eine andere, seelische Müdigkeit. Aber nicht heute, bin jetzt einfach viel zu müde!