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Worüber man nicht spricht Schwangere Kinder, eines der großen Tabus in Sri LankaPria hatte Bauchschmerzen, schlimme Bauchschmerzen. Man gab ihr in dem Kinderheim, in das sie vor etwa 6 Monaten per Gerichtsbeschluss eingeliefert worden war, Panadol und weil sie keine Ruhe gab, wenige Stunden später nochmal 2 Tabletten und etwas zum Schlafen. Die 13jährige zog sich in den Saal zurück, in dem alle 23 Mädchen schliefen, der am Vormittag jedoch leer war. Dem Mädchen gefiel es im Kinderheim, hier wurde sie weder geschlagen noch ständig belästigt. An ihren Vater konnte sich Pria nicht erinnern, wusste nur, dass er die Familie verließ, als die Mutter mit dem jüngeren Bruder schwanger war. Er kam eines Tages einfach nicht mehr zurück aus der fernen Großstadt, keine Nachricht in all den Jahren, er blieb einfach verschwunden. Danach zog die Not in die kleine Hütte ein und blieb auch dort. Genaugenommen war es gar keine Hütte, sondern ein abgetrenntes Teil eines Langhauses.
Die Wände waren dünn und nur aus gestampftem Lehm, man konnte alles hören, was in den Nachbarabteilen passierte. Meist war das Zank, Geschrei, besonders am Abend, wenn die Männer betrunken heimkamen und dann sehr oft ihre Frauen und auch die Kinder verprügelten. Jede Nacht ging das so, für Pria war das normal. Die Mutter ging in die Teeplantagen schuften und weil sie noch jung war und hübsch, ließen ihr die Männer keine Ruhe. Pria lernte früh, dass eine Frau alleine nicht hier leben konnte. Ihre Mutter sagte ihr das, als der neue Vater einzog. Ihm folgten sehr bald Prügel, weil auch er trank und dann wütend wurde, dass seine Frau schon 3 Kinder hatte, ihm quasi untreu gewesen war. Immer öfter schlug er auch Pria und ihre Geschwister.
Als die Mutter dann schwanger wurde, ging sie immer noch jeden Tag zum Teepflücken, weil der neue Mann selten arbeitete und dann ganz aufhörte. Das meiste Geld, das seine Frau verdiente vertrank er, Pria hatte oft Hunger, selten gab es mehr als Reis und Linsen und auch davon kaum genug. Die Mutter verlor das Baby und das machte den Mann noch wütender. Pria wollte nicht mehr nach Hause, sie hatte Angst vor der Nacht, vor dem Moment, wo der Mann kam. Er stank nach billigem Alkohol und Zigaretten. Richtig schlimm wurde es, als ihr älterer Bruder nicht mehr heimkam. Er war 14 als er nicht mehr zur Schule ging und schließlich verschwand. Weinend kam die Mutter von der Polizeistation, die viele Kilometer entfernt war, weil die Polizisten sich weigerten, nach ihm zu suchen. „Der kommt schon wieder, wenn er hungrig ist!“ Er kam nicht mehr, nie mehr.
Der Leidensweg eines schutzlosen MädchensIhr kleiner Bruder Seran sprach fast nie, wenn der Mann kam, verkroch er sich in den letzten Winkel, wurde dann fast unsichtbar. Pria dagegen warf sich dazwischen, wenn der Mann ihre Mutter an den Haaren hinter sich herzog und nach ihr trat, weil sie ihm kein Geld geben wollte. „Wir haben doch nichts zu essen“, bettelte sie, ihm war das egal. Einmal biss Pria ihn so fest sie konnte in die Hand. Er guckte verwundert, schüttelte sie ab, trat nach ihr wie nach einem der vielen herrenlosen Hunde und ging. Danach schlug er Pria nicht mehr, aber ihr wäre es lieber gewesen, er hätte sie weiter geschlagen, weil nun holte er sie in der Nacht zu sich auf die Matte. Er stank so schrecklich, sie hasste seinen Atem, seine Berührungen. Er rieb sich an ihr, manchmal tat das richtig weh, zog ihr die Unterhose aus. Die Mutter sah nichts oder wollte nichts sehen, was hätte sie auch tun können. Viele Male war sie bei der Polizei gewesen, wenn er sie so schlimm geschlagen hatte, dass sie nicht zur Arbeit konnte. Die holten dann ihren Mann und der musste versprechen, dass er das nicht mehr machen würde. Eine Frau in Uniform sagte zu Prias Mutter, dass die Männer nun mal so seien und man sie als Frau halt zufrieden stellen müsse. Und dann hat man sie beide weggeschickt, immer und immer wieder ist das so gegangen. Pria erschaudert, als sie an diese Zeit in ihrem Leben denkt. Irgendwann glaubte sie, das sei nun mal so und wollte nur, dass dieser Mann sie schlafen ließ, also tat sie, was er wollte, Nacht für Nacht. Irgendwann hat dieser Mann sie dann gebissen, in den Hals, sogar Blut kam. Sie konnte nicht zur Schule. Aber dann kam eine Lehrerin, Pria war da alleine daheim. Sie sah die Wunde und ging. Wenige Tage später kam ein junger Mann, eine ältere Frau und zwei Polizisten. Sie warteten mit Pria auf die Mutter. Das Mädchen verstand nicht, was sie redeten, aber irgendwann sagte die Mutter unter Tränen, dass Pria mit ihnen gehen solle, sie habe es dort, wo sie nun hingehen würde, besser als hier. Pria ging und kam in dieses Kinderheim der Regierung. Sie sah nicht, wie armselig es dort war, weil es immer noch viel viel besser war als das, was sie kannte. Skandal im KinderheimIrgendetwas zerreißt dem Mädchen den Bauch, sie presst das Kissen auf das Gesicht, stöhnt, Tränen und Schweiß, das Kissen ist nass, überall ist Blut, etwas kriecht aus ihrem Leib heraus, Pria denkt, dass sie nun sterben muss. Shanti kommt von der Schule, sie geht in den Schlafraum und schreit. Die Betreuerin kommt gelaufen, sie zittert, sinkt in sich zusammen, Shanti rennt aus dem Haus zum Tor, stammelt zum Wächter: „Etwas Schlimmes ist passiert, komm schnell!“ Ja, das ist der Stoff, von dem Reporter träumen! Ein Kind verblutet fast bei der Geburt eines Kindes und das in einem Kinderheim. Was wird hier vertuscht, was versteckt? Worüber man nicht sprichtPria bekommt von all dem nichts mit. Ihre zähe Natur hat ihr das Leben gerettet auch wenn sie viel Blut, sehr viel Blut verloren hat. Wie durch ein Wunder ist auch ihr Baby, ein Mädchen, gesund. Nach dem Krankenhaus wird sie an einen Ort gebracht, an dem viele Mädchen leben, die auch als Kinder bereits schwanger wurden, überwiegend missbraucht von einem nahen Verwandten.
Fast alle hatten keine Ahnung vom Zeugungsakt, also wie sie letztlich schwanger geworden sind. „He was troubling me“, ist meist die Aussage, die ihnen allen so schwerfällt und oft erst nach Monaten kommt, wenn überhaupt. Über solche Dinge spricht man nicht in Sri Lanka, weil sich das Opfer schämt. Und das macht es den Tätern so einfach. Es gibt weder Zahlen, wie viele Kinder sexuell missbraucht werden noch hat man im Land eine Ahnung von der Anzahl der Abtreibungen. Auch darüber spricht man nicht, zudem sind sie illegal. Trotzdem finden sie statt und oft unter schrecklichen Bedingungen. Selbst wenn junge Frauen dabei sterben, wird das meist vertuscht. Oft sind diese Eingriffe zudem so stümperhaft, dass die Frau danach unfruchtbar wird oder dauerhafte gesundheitliche Schäden davonträgt von den psychischen gar nicht zu reden. Aber wie schon erwähnt, darüber spricht man nicht, weil sowas eine Schande ist für die ganze Familie und u.a. die Heiratschancen der Geschwister massiv verschlechtert. Und wenn der Ernährer der Täter ist wird es noch komplizierter.
Irgendwie liegt die Schuld immer beim Mädchen, bei der Frau. Sie hätte sowas nicht zulassen dürfen, hätte eben rechtzeitig was sagen müssen. Vielleicht hat sie den Mann ja sogar ermutigt? So die weitverbreitete Meinung. Ein Leben mit einem Kind ohne Mann ist praktisch unmöglich. Und wenn man dann selbst noch ein Kind ist, wie soll es danach weitergehen? Zurück ins Dorf, zur Familie, ausgeschlossen. Oft wird dort das Opfer von den Verwandten des Täters bedroht, von der Gesellschaft gemieden, von der eigenen Familie verstoßen. Vor der Welt verstecktIm Moment ist das für Pria noch weit weg. Sie muss sich wieder in einer völlig neuen Lebenssituation einrichten. Als 13jährige Mutter sein ist nicht leicht aber dann noch an einem Ort, zusammen, mit bis zu 20 Mädchen und junge Frauen, manche noch schwanger andere schon mit Baby, die alle dieses oder ein ähnliches Schicksal teilen!!! Niemand hilft ihnen bei der Bewältigung der meist traumatischen Erfahrungen. Fast alle wurden vergewaltigt, fast immer von einem nahen Verwandten. Es gibt keinen Besuch, niemand von draußen. Sie leben in einem Haus, das einst für Beschäftigte des Jugendamtes gebaut wurde und schon bessere Tage gesehen hat. Drei kleine Zimmer, ein Wohnbereich gleich nach der Eingangstür, eine Küche mit Lehmplatz für Feuerholz, die Toilette draußen, daneben ein Wassertrog zum Duschen und Waschen. Und Wäsche gibt es mehr als genug. Derzeit leben hier 16 Mädchen und junge Frauen, 7 Säuglinge und eine ständige Betreuerin, die eher wie eine Wächterin auftritt.
Nicht einmal 50 Meter entfernt ein ehemaliger Bungalow, der als Babyhaus dient. Hier werden die meisten der Säuglinge landen, weil ein Weiterleben draußen für die Kindermütter mit Baby unmöglich erscheint. Kinder, die ihre Kinder abgeben, meist nach 5 Monaten, das fällt selten leicht. Doch egal, wie oft sich die junge Mutter in den Schlaf geweint hat, auch am nächsten Morgen tut sich kein Ausweg auf. Begegnung und ein VersprechenEs hat lange gedauert, sehr lange. Diese Mädchen sind sowas wie ein Schandfleck, den die Gesellschaft lieber versteckt. Viele Jahre habe ich mich um eine Besuchsgenehmigung bemüht. Unmöglich! Sowohl die Schwangeren, als auch die Kindermütter und erst recht die Babys waren tabu. Dann aber kam ein neuer Leiter der Kinderschutz- und Jugendbehörde und der war anders. Und plötzlich war möglich was vorher undenkbar war. Vorbei an schier endloser über Bäume und Sträucher ausgebreiteter Wäsche betrete ich das heruntergekommene Haus. Einige Mädchen haben sich neugierig in einer dunklen Ecke versammelt, andere sind durch die rückwärtige Türe geflüchtet. Besuch bedeutet hier selten was Gutes. Ein Weißer war vermutlich noch nie hier. Der Commissioner ist mitgekommen, die relativ junge Tagesbetreuerin erklärt, wer ich bin, das Eis schmilzt, weil ich zwei Mädchen aus Little Smile dabei habe, die auch fließend Tamil sprechen und als sie dann erzählen von dieser so anderen Welt, die nur etwas mehr als 30 Kilometer entfernt ist, kommen sie alle näher, teilweise mit oft winzigen Babys im Arm. Ich will wissen, was Sie sich denn am Meisten wünschen? Einen Reiskocher, meint sofort die Betreuerin, einen Fernseher rufen die Mädchen und in ihren Augen glaube ich so etwas wie ein wenig Hoffnung aufblitzen zu sehen. Was man verspricht, das hält man auch!Genau eine Woche später bin ich wieder da. Es war nicht einfach den Fernseher zu organisieren, mussten ihn in der weit entfernten Großstadt kaufen, durch den Importstopp gibt es kaum noch elektronische Geräte auf dem Markt. Doch, versprochen ist versprochen und Probleme bin ich gewohnt. Auch den Reiskocher habe ich dabei und auch einen Elektriker, der gerade die Satellitenschüssel montiert. Meine Kinder haben mich beraten, welches Programpacket das richtige ist, auch das ist für ein Jahr im Voraus bezahlt.
Der Fernseher wird angeschlossen, begeisterte Rufe, als die Lieblingssender erscheinen und ein Lächeln auf Gesichtern, die schon lange, sehr lange nicht mehr gelacht haben. Ein großes VorhabenEnde Oktober 2022 gibt es fast nichts in Sri Lanka zu kaufen, was über die absolut notwendige Grundversorgung hinausgeht. Das was es gibt, Baumaterial etwa, ist unglaublich teuer und es gibt auch nur das, was im eigenen Land hergestellt wird und das ist nicht viel und oft von minderwertiger Qualität. Es ist also bei Gott keine Zeit zum Bauen. Aber diese Mädchen und jungen Frauen weiter in diesem Provisorium überlebe lassen? Denn auch das Babyhome lässt mehr Wünsche offen als es erfüllt. Und weil Little Smile gewohnt ist auch das Unmögliche anzupacken und weil einige meiner Maurer gerade frei sind und mein ältester Mitarbeiter Shiran, der bisher alle großen Bauvorhaben betreut hat, Ende des Jahres, nach mehr als 15 Jahren Little Smile verlassen will, packen wir das sofort an. Klar, Shiran wird so ein Projekt nicht fertig bekommen in etwas mehr als nur 2 Monaten aber bisher haben wir noch alles zu einem Ende gebracht, was wir angefangen haben. Warum soll es diesmal anders sein? Zudem haben wir mit dem Verein „Projekt Waisenhaus Sri Lanka e.V.“ einen Partner gefunden, der einen Teil der Finanzierung übernimmt. Natürlich fängt es an zu regnen, natürlich stimmen die Pläne, die uns von der Behörde geschickt werden, hinten und vorne nicht und letztlich gibt dann auch noch unserer Lastwagen vorübergehend seinen Geist auf. Natürlich gibt es ein paar Probleme, sind ja schließlich in Sri Lanka, aber natürlich werden wir nicht ruhen, bis diese vom Leben so gebeutelten Mädchen und jungen Frauen einen Ort haben, an dem sie ihre Babys gut aufgehoben wissen, ein „Home für Babys“ und ihre so jungen Mütter, das diesen Namen auch verdient. Fragen über FragenKann eine der jungen Mütter auch ihr Kind behalten? Natürlich kann sie das, sofern sie eine Familie hat, die ihr und dem Baby ein Zuhause und Sicherheit garantieren kann, was leider sehr selten der Fall ist. Was passiert, wenn die junge Frau keinen solchen Ort hat, aber das Kind nicht hergeben will? Was passiert mit den anderen Babys? Wenn möglich werden diese Kinder zur Adoption freigegeben. Nicht alle Kinder finden Adoptionseltern, da nicht wenige durch die traumatischen Erfahrungen im Mutterleib beeinträchtigt sind und andere durch zu nahe Verwandtschaftsverhältnisse, etwa wenn der Vater oder Bruder der Vater ist, behindert sind. Sie werden sie im Alter von 5 Jahren an ein Kinderheim abgegeben, wobei es sehr schwer ist, für diese Gruppe einen geeigneten Platz zu finden. Was geschieht mit den jungen Frauen, nachdem sie ihr Baby hergegeben haben? Schweigen wie und bis zum GrabÜbrigens wird Little Smile diesen jungen Frauen, wenn sie es wünschen, eine Chance geben in unserem Kinderdorf Mahagedara und zwar egal, ob sie sich dafür entscheiden, ihr Kind wegzugeben oder mit so einem Entschluss lieber warten möchten. Und auch wir werden schweigen, bei Anka und mir ist dieses Geheimnis gut aufgehoben. Wie es weitergeht mit dem Abenteuer Babyhome und den Kindermüttern, das wird die Zukunft zeigen und wir werden hier weiter und wie gewohnt offen und ehrlich berichten. |