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Menschlichkeit wo bist du hin? — Versuch einer Antwort (von Manuel Kreitmeir)

Menschlichkeit- ein Begriff, den wir heute in der modernen Corporate Welt noch nicht einmal so verwenden würden. Wir haben auch die Sprache erfolgreich ent-menschlicht.

Im Unternehmenskontext sprechen wir von “Human Resources”, der Mensch als Ressource im Produktionsprozess. Ausgehend von einem tradierten tayloristischem Verständnis, das Unternehmen als Maschine sieht, in dem der Mensch als ganz kleines Rädchen funktionieren soll, wirkt “Menschlichkeit” störend.

Bei der EU reden wir von “Stakeholdern”, Interessensgruppen, deren Interessen gegeneinander abgewogen werden sollen. Der Mensch wird als Teil einer Gruppe mit kollektiven Interessen und nicht als Individuum betrachtet, welches über sein Eigeninteresse hinaus Ziele anstreben könnte. Dabei wird es wenig verwundern, dass die Stakeholder Theorie von einem Amerikanischen BWL Professor stammt und für Unternehmen konzipiert wurde. Politik als Kampf verschiedener Interessensgruppen gesehen. Und welche Interessensgruppen hier stärker sind als andere ist wohl offensichtlich.

Ich selbst war fast 2 Jahre lang für die Kommunikation mit den Interessengruppen aus der Sozialökonomie mit der EU verantwortlich. Während COVID waren wir als einziges digitales Team alleiniges Sprachrohr der EU für den sozialen Sektor in Europa. 7.000 “Stakeholder” aus 450 Organisationen in Europa haben sich in über 150 Workshops thematisch bei uns eingebracht. Die Ergebnisse sind, verwässert aber immer noch deutlich, als Politikempfehlung in den Action Plan der Social Economy eingeflossen.

Dieser ist wiederum ein ganz kleiner Teil des European Green Deal, der größten Transformation der Menschheitsgeschichte, sollte er denn erfolgreich sein.

A Green Transition that leaves no one behind war das erklärte Ziel der Europäischen Kommission und davon sind wir weiter entfernt denn je. Bisher ist von unseren damaligen Empfehlungen noch sehr wenig in die Tat umgesetzt. Dabei hatte es damals während COVID einen hoffnungsvollen Aufbruch gegeben, war es doch die Sozialökonomie, die als “Essential Workers” den Laden am Laufen gehalten haben.

Ich dufte in diesen 2 Jahren unglaublich viele tolle Menschen und Organisationen in Europa kennenlernen. Social Start-ups, die sich in Italien um illegale Prostituierte aus Afrika kümmern und smarte Kids, die anstatt einen gut bezahlten Job in der IT Industrie, Apps für Obdachlose entwickeln. Bürgerinitiativen, die sich um Drogensüchtige kümmern, Nachbarschaftshilfen, die ehrenamtlich Alte betreuen, die sich teilweise nicht einmal trauten, das Haus zu verlassen oder alleine einzukaufen. Es gibt sie überall- die Menschen, die sich für Schwächere einsetzen und starkmachen. Aber im aktuellen System sind die die Dummen und praktisch unsichtbar.

Was ist daraus geworden? Zumindest für Deutschland- wo ich einer der Mitgründer der organisierten Social Entrepreneurship Szene war- halte ich diese Bewegung mittlerweile für gescheitert. Man hat in Deutschland eine ganze Generation von Social Entrepreneurs gegen die Wand laufen lassen. Mittlerweile sind einige der größten Namen der Szene pleite gegangen, oder haben aufgegeben. Das Gesellschaftsrecht wurde nie für Sozialunternehmen angepasst. Versprochene Förderungen, wie das Vermögen aus nachrichtenlosen Vermögen, wie es schon in vielen anderen europäischen Ländern gemacht wird, konnte sich in Deutschland gegen die Bankenlobby nicht durchsetzen.

Wer sich einen Rennstall leistet, kann das von der Steuer absetzen, wer zu viel spendet, nicht. Freunde von Lemonaid mussten das schmerzlich erfahren. Das Hamburger Social Startup spendet einige Cent pro verkaufter Flasche Limonade und Eistee an soziale Projekte. So ist über die Jahre eine stattliche Summe zusammengekommen und mit insgesamt 7 Millionen Euro konnten soziale Projekte in aller Welt realisiert werden. Einer der Gründer, Paul Bethke ist auch in Sri Lanka als Sohn eines Entwicklungshelfers aufgewachsen. Nun fordert das Finanzamt 3 Millionen an Steuern von ihnen zurück, weil es die “Gegenleistung” für das Unternehmen nicht sieht und die Spenden als Gewinn versteuern will.

Der Rechtsstreit ist vor den Gerichten, aber sollte das Finanzamt mit seiner Argumentation durchkommen, ist das existenzbedrohend für das Sozialunternehmen.

Ich habe Hunderte von hoffnungsvollen Sozialunternehmern in Deutschland getroffen, mittlerweile sind fast alle entweder in den Nachhaltigkeitsabteilungen großer Corporates, bei der Regierung oder Stiftungen untergekommen. Und fast alle dort sind von der Realität ihrer Arbeit frustriert. Einige wenige kämpfen sich aber noch immer durch und haben sich mit ihren oft prekären Lebenssituation als Sozialunternehmer abgefunden. Ich bin hier irgendwo dazwischen.

Kein Wunder also, dass dieser “Lifestyle” bei der neuen Generation Z wenig Anklang findet. Social Entrepreneurship ist nicht mehr “in”. Das war eine Bewegung meiner Millennial Generation, die noch daran geglaubt hat, den Kapitalismus reformieren zu können.

Bei der jungen Generation sehe ich zwei Strömungen. Die einen haben sich von Fridays for Future sozialisiert, mittlerweile radikalisiert und sind bei Extinction Rebellion oder bei der “Vulkan Gruppe”, die jüngst Anschläge auf das Tesla Werk von Elon Musk in Berlin gestartet hat. Die andere Gruppe befindet sich in einer Art turbokapitalischen Selbstoptimierungs- und Inszenierungswahn und träumt davon Influencer zu werden, auch weil man abseits von persönlichem Reichtum und Erfolg, in der aktuellen ökonomischen und ökologischen Weltlage zu Recht keine Zukunftsaussichten in einer klassischen Karriere für sich sieht.

Auch die Nachhaltigkeitsbewegung gerade dabei erfolgreich eingefangen und gezähmt zu werden. Mit ESG Reporting (Environment, Social and Governance) hat man aus dem holistischen Thema Nachhaltigkeit ein Buchhaltungsthema gemacht. So werden in Unternehmen reihenweise CSR Departments, verantwortlich für soziales Engagement, eingestampft und das Thema beim Finanzcontrolling angesiedelt.

Bei meiner Arbeit als Experte für Nachhaltigkeits-Innovation erlebe ich immer stärker, dass die Vorgaben aus dem Controlling den Rahmen setzen für den “Innovationsworkshop”. Das Controlling ist das Nadelöhr und das Ziel der Nachhaltigkeitsabteilung besteht darin gute Zahlen für das Controlling zu produzieren. Eine holistische Betrachtung auf die Möglichkeiten und transformative Wirkung des Unternehmens? Ist nicht erwünscht.

Alles wird dem kapitalistischen Diktat von Optimierung und Gewinn unterworfen, während die Welt um uns herum brennt, bis 2050 über eine Milliarde Menschen Richtung Europa aufbrechen werden, natürliche Ressourcen knapper werden, Rechtsnationalisten und Autokraten weltweit auf dem Vormarsch sind. Aber es wird weiter gemacht wie bisher. Business as Usual. Green Capitalism. Kapitalismus mit einem (leichten) Grünen Anstrich.

Wir leben in einer Zeit in der, in der letzten Woche, Elon Musk als reichster Mensch der USA Jeff Bozos mit 192.8 Millarden (!) Dollar überholt hat und der Sozialunternehmer Muhammad Yunus, der Millionen Menschen in Bangladesch und anderswo aus der Armut geholfen hat, zu einer Gefängnisstrafe von einer korrupten Regierung verurteilt wurde, und seine Sozialunternehmen mit vorgehaltener Waffe von Spezialeinheiten zwangsverstaatlicht wurden, mit bescheidenem internationalem Aufschrei, trotz Friedensnobelpreis.

Little Smile ist hier ein Leuchtturmprojekt. Und neben der unglaublich wichtigen Arbeit mit über 100 Kindern, ist es diese Vorbildfunktion, die das Projekt wirklich einzigartig macht. Nicht Charity, nicht Betteln, sondern echtes soziales Engagement, dort wo es am meisten gebraucht wird, in der bitterarmen Uva Provinz. Kombiniert mit wirklich nachhaltigem (!) wirtschaftlichen Handeln.

Ich gehe nicht so weit zu behaupten, dass Social Entrepreneurship, also Menschlichkeit im Unternehmertum, DIE Lösung für alle Probleme unserer Zeit gewesen wäre. Aber sie wäre ein Lösungsbaustein gewesen, und diese Chance hat man zumindest in Europa und ich fürchte auch weltweit verpasst. Mit dem Ende der Grameen Gruppe in Bangladesch und unserem kollektiven Scheitern dies zu verhindern, tragen wir nicht nur das größte Sozialunternehmen der Welt zu Grabe, sondern auch die Idee von einem sozialen Kapitalismus.