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Versöhnung beginnt im Herzen

Little Smile in Sri Lanka – Mit einem Kinderlächeln für den Frieden

„Honday ne – nicht gut“ stößt die Frau mit einem Zischlaut hervor und schiebt mit der Zunge das Stück Seife, das sie gerade abgebissen hat, von einer Seite des Mundes in die andere. Bawani, die Betreuerin im Kinderdorf Little Smile in den Bergen Sri Lankas, schüttelt den Kopf, nimmt der Frau den Rest der Seife aus der Hand und macht ihr mit einer Geste klar, das Stück im Mund nicht runterzuschlucken sondern auszuspucken.
Am Mittag hat die 28jährige Shanti mit ihren drei Kindern am Tor geklopft. Von Geschwüren und offenen Wunden übersäht, der Säugling und der etwa 2jährige Junge fiebrig, von Hunger und Verzweiflung getrieben, stehen sie da, von einem unglaublichen Gestank umgeben. Dass die Frau noch nie in ihrem Leben eine Seife benutzt und das weiße Etwas, das ihr in die Hand gedrückt worden war, für etwas zum Essen halten sollte, das überrascht wenig später sogar die erfahrene Betreuerin Bawani. Shanti kann kaum Sprechen, sie war bereits mit 11 Jahren einem Mann gegeben worden, der als Händler in das kleine tamilische Bergdorf gekommen war. Sie sollte es bei dem in den Augen der armen Dörfler wohlhabenden Mann einmal besser haben. Mit 12 wurde Shanti zum ersten Mal schwanger, der Mann trat ihr so oft in den Bauch, bis viel Blut kam und das Baby weg war. Wie oft sie seitdem schwanger war, weiß Shanti nicht mehr, oft jedenfalls. Einmal hat sie ihr Baby nach der Geburt auf den Müll geworfen, kam ins Gefängnis, wurde geschlagen.
Irgendwann lies man sie einfach wieder laufen, sie ging zurück zu ihrem Peiniger weil sie keinen anderen Platz wusste, wo sie hin konnte.

Eigentlich hat Bawani keine Zeit, denn an diesem Montag muss viel vorbereitet werden. An diesem 18 May werden endlich die Kinder aus den Little Smile Mädchenhäusern in PALUGAMAM erwartet, Kinder die Bawani gut kennt, denn oft hat die tamilische Betreuerin Michael Kreitmeir in das Krisengebiet begleitet. Sie liebt diese Kinder ganz besonders weil sie bisher so wenig Liebe in ihrem Leben bekommen haben. Doch egal wie viel Arbeit noch wartet, nie würde Bawani das Tor oder ihr Herz vor der Not anderer verschließen. Also richtet sie das kleine Gästehaus für Shanti und ihre Kinder her. Später wird sie in ihr Tagebuch schreiben: New Lady came to Little Smile with 3 children. Very sad! (Eine neue Frau kam mit drei Kindern nach Little Smile. Sehr traurig!)
Immer wieder erleben Michael Kreitmeir und seine Helfer solch unglaubliche Geschichten, werden mit Elend konfrontiert, das es offiziell nicht gibt, nicht geben darf, Leid, das besonders Frauen widerfährt, die mit ihren Kindern verstoßen werden und sprichwörtlich im Nichts landen.
Shanti und ihre Kinder werden gewaschen und dann zu Sarda in die Krankenstation von Little Smile gebracht.
Fast zwei Stunden dauert das Reinigen und Verbinden all der Geschwüre und Wunden. Die 22jährige Krankenschwester, selbst im Kinderdorf aufgewachsen, hat es mit zahllosen Läuse aber auch Maden und bis zu 50 cm langen Würmern zu tun. Die Frau und besonders die Kinder sind durcheinander, unruhig, Sarda ruft „Lokuthatha“, wie Michael Kreitmeir im Kinderdorf genannt wird, zu Hilfe. Nie haben diese Menschen vorher einen Weißen gesehen, folgen und lassen die teilweise sehr schmerzvollen Behandlungen fast teilnahmslos über sich ergehen. Schmerzen sind für die Frau und ihre Kinder etwas völlig normales.
Während Michael Kreitmeir die Kinder beruhigt und hilft die Wunden zu reinigen, erzählt er Sarda, was man gerade beschlossen hat. Heute Abend sollen die Mädchen aus den zwei Häusern von Little Smile von der Ostküste ankommen. Drei Jahre hat es gedauert, bis die offizielle Erlaubnis kam, bis Michael Kreitmeir endlich sein Versprechen einlösen konnte. Die Tsunamikatastrophe hat vielen dieser Kinder ihr Zuhause zerstört, die Familie genommen. Doch damit nicht genug, der Bürgerkrieg kam zurück, bedrohte ihr Leben, ein von Little Smile mit Hilfe von STERNSTUNDEN gebautes Kinderhaus ging in Flammen auf. Doch anders als für die meisten Kinder dort hatten sie Hoffnung, denn da gab es Little Smile und ihren weißen Dada, der sie nie im Stich lassen würde, der auch in de schwierigsten Zeiten kam und der Ihnen versprochen hatte:
„Eines Tages werde ich euch einen ganz besonderen Ort in den Bergen Sri Lankas zeigen, eine Ort, wo Singhalesen und Tamilen Freunde sind, ja Brüder und Schwestern. Heute sind wir noch getrennt aber irgendwann werden wir zusammen sein können. Wir werden miteinander singen, tanzen, lachen und von einander lernen.“ Dieses Versprechen hat den Mädchen von PALUGAMAM Hoffnung gegeben, gerade als der Krieg immer näher kam und die Gewalt zur Normalität geworden war.
Manchmal werden Wunder Wirklichkeit und an diesem 18. Mai 2009 ist so ein Tag für die 46 Mädchen von der Ostküste nahe der Stadt Batticaloa. Offiziell ist der Krieg nun beendet, nach 27 Jahren hat die Armee der Regierung die tamilischen Separatisten vernichtend geschlagen und ihren Führer Velupillai Prabhakaran getötet. Doch die Kämpfe, denen etwa 100.000 Menschen, überwiegend Tamilen, zum Opfer gefallen sind und die lange Zeit der Trennung haben das Land zerrissen. Dass die überwiegende Mehrheit der knapp 5 Millionen Tamilen nicht singhalesisch sprechen und kaum ein Singhalese tamilisch kann, macht eine Verständigung nicht einfacher.
Am Abend freilich, wenn die Kinder aus dem Osten endlich angekommen sind, da braucht es nicht viele Worte. Eine helfende Hand, ein Lächeln und der Wunsch die Trennung zu überwinden werden zeigen, dass es einen Weg gibt für dieses geschundene Land. Und dieser Weg beginnt im Denken der Kinder. Der Andere, der einem nach so viel Propaganda unheimlich ist, einem Angst macht, diesen Anderen als Mensch zu erleben, der weint, der lächelt, der ein bisschen glücklich sein will. Genau das werden die Kinder vom Osten und die Kinder aus den Bergen Sri Lankas in den nächsten Tagen erfahren. Es werden Freundschaften entstehen und der Wunsch nach einem Miteinander.
Dienstag, der 19. Mai 2009. In der Hauptstadt Colombo wird mit endlosen Militärparaden und Volksfesten der Sieg gefeiert, im benachbarten Dorf Koslanda wird mit Triumphgeschrei eine überlebensgroße Puppe des Führers der tamilischen Separatisten Velupillai Prabhakaran verbrannt.
Im Kinderdorf Little Smile dagegen zeigen die Kinder von Little Smile ihren Schwestern aus dem Osten ihr Dorf und ihre Lieblingsplätze, führen sie stolz durch die neue Schule und beten gemeinsam am Tempel des Hindugottes Ganesh und meditieren zusammen vor der Buddhastatue.
Am Nachmittag werden je zwei Gruppen aus PALUGAMAM und aus dem Kinderdorf Bilder malen. Und alle Bilder werden, so unterschiedlich sie auch sind, die Insel Sri Lanka zeigen, als ein Land, in dem viele unterschiedliche Menschen in Frieden zusammenleben. Und während draußen Betrunkene, Siegesparolen grölend, durch die Straßen ziehen, machen sich etwa 100 Kinder im Kinderdorf mit einem Lächeln auf den langen Weg, an dessen Ende hoffentlich eines Tages der wirkliche Sieg stehen wird, der Sieg über Angst und Vorurteile.
Im Gästehaus kriecht Shanti mit ihren Kindern unter das Bett. Die lärmenden Männer draußen auf der Straße machen ihr Angst. Sie weiß nicht, dass auch für Sie und besonders ihre Kinder heute ein neues Leben beginnt, dass es auch für sie die entrechtete Tamilin eine Zukunft gibt, mit einem Platz für ein Lächeln.