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Morgengedanken

Dienstagmorgen, wieder einmal kein Strom. Gestern hat es seit langer Zeit mal geregnet und das hat natürlich wieder alle überrascht, sodass es überall reingeregnet hat u.a. auch in mein Bett.
In der Steppe in Buttala, wo wir ein Ayurvedakrankenhaus, eine Schule für traditionelle Medizin und Häuser für verlassene Frauen mit Kinder gebaut haben und betreiben, sowie Stauseen und Obstplantagen angelegt haben ist wieder kein Tropfen Regen gefallen. Die Natur steht vor dem Trockenkollaps, hat es doch seit mehr als einem Jahr dort nicht geregnet. Zudem wird wie wild und total bescheuert gezündelt. Trotz Feuerschneise und aller Vorbereitung ist wieder mal auch ein Teil unseres Landes niedergebrannt worden.

Gestern wurde hier Vollmond gefeiert und ich habe mit den Kindern des ehemaligen Sunshinehauses das ja jetzt Green Star heißt und mit den Luckygirls die Nacht unten im Dschungel von LS 2 verbracht.
Diese Nacht, nur umgeben von Natur, eingetaucht in den silbernen Glanz des Vollmondes... Und dies den 28 Mädels und zwei Betreuerinnen erlebbar machen, ich könnte darüber ein Buch schreiben.

Mit meinem lokalen Leiter Anton Weresingha ist gestern der letzte männliche Angestellte aus dem Kinderdorf ausgezogen und wohnt jetzt in einem unserer Häuser direkt am Fluss. Ich bin jetzt der einzige Mann, der in der Nacht über den Schlaf von derzeit 114 weiblichen Wesen und 11 Jungs unter 12 Jahren wachen muss.

In Galle habe ich mit dem Bau der großen Halle begonnen und muss mindestens einmal die Woche dorthin. Im Haus der Geborgenheit „Sahana Nivasa“ im Zentrum von Galle ist jetzt das Lehrerkollegium installiert und auch die Int. Vorschule hat begonnen. Ab September geht es dann mit dem Unterricht für die Grossen los.
Vor zwei Tagen war ich in der Steppe bei Buttala, wo wir ein Ayurvedakrankenhaus gebaut haben. Der Schulbetrieb für 38 Ayurvedastudentinnen und einen Studenten hat begonnen genau wie die Behandlungen im Krankenhaus. Überfälle und Morde in der Region in den letzten Monaten sowie die anhaltende Trockenheit stellen uns auch dort vor große Herausforderungen und Probleme.
Und doch, es geht vorwärts, die Studentinnen sind glücklich, lernen zu dürfen.


Nächste Woche geht es für mich an die Ostküste nach Kalmunai (Krankenhaus) und nach Palugamam (drei Mädchenhäuser) um auch hier die Dinge anzuschieben und auf den richtigen Weg zu bringen.

Im Kinderdorf in Koslanda leben nun 95 Kinder, mehr als 10 Neuaufnahmen in einer Woche, absolute Notfälle im Übrigen, darunter ein wenige Tage alter Säugling, bringen uns an die Grenzen das Machbaren und zeigen, wie es hinter der jubelnden Siegerfassade wirklich aussieht.

Shiran, der Leiter der Farm, hat den Schock nach dem Raubüberfall von vor 3 Wochen einigermaßen überwunden. Hatten die letzten beiden Wochen sehr viel damit zu tun, endlich unsere Gewürze auf den Weg nach Deutschland zu bringen. Fast alle Vertragslieferanten haben uns sitzen lassen und vielen Bauern ist die Ernte einfach vertrocknet. Seit gestern schwimmt das Gewürz nun Tonnenweise Richtung Hamburg.


Tag für Tag fällt mir mehr und mehr auf, hier genauso wie in Deutschland, dass ganz wenige Menschen stimmig sind, das tun was sie vorgeben, wo Anspruch und Wirklichkeit was miteinander zu tun haben. Am Schwierigsten zu ertragen sind die, die immer in vorderster Front stehen, wenn es darum geht zu urteilen, zu verurteilen und die doch selbst sich den Regeln, die sie für Andere bereithalten, entziehen. Mein Leben hat mich gelehrt, dass es sinnlos, schlimmer noch Zeit- und Energieverschwendung ist zu versuchen Andere zu ändern. Wir können durch unsere vorgelebte Veränderung den ein oder anderen zum Nachdenken bringen und wir können Kindern und manchem jungen Menschen auf der Suche ein Vorbild geben. Mehr ist nicht drin!
Krankheit, Alter und Tod, also die drei einzigen Wirklichkeiten eines jeden Lebens werden gerade in der so genannten „Ersten Welt“ mehr und mehr tabuisiert. Wir Menschen schaffen es immer besser, unsere eigene Zukunft auszublenden bis sie dann da ist und wir dran sind mit dem abgeschoben werden. Die reichen Länder lassen es sich Milliarden kosten, damit Menschen in sterilen Boxen, begraben unter Maschinen und ihres eigenen Willens beraubt, selbst als lebende Leichen weiterkonsumieren und damit den Wohlstand für Andere sichern. Wohlstand, was für ein sinnentleertes bzw. sinnverkehrtes Wort!

Ein früherer Kollege aus meiner Zeit beim Fernsehen, hat mir, angesichts seines für mich viel zu frühen Todes folgende Zeilen geschickt. Sie kamen genau an dem Tag an, an dem er in München an Krebs gestorben ist:


... Der Tag
An dem alle deine Hassgeister
Sich selber reinigen werden
Wenn der Mensch
Als Wesen
Mit Liebe ist erfüllt
Denn auch die
Dumpfen Seelen
Drängen nach dem Licht
Drum hoff und vertrau
Auf deine Reinheit in dir
Sie ist makellos
Ein Licht
Das immer leuchtet
Für Dich
Für alle
Auch für die
Die Schrecken säen
Sie sind noch blind
Doch du kannst sehen


Die Sonne wirft ihre ersten Strahlen auf den benachbarten Bergrücken, bald wird sie auch für uns wieder aufgehen. Dann werden die Kinder hochkommen, zuerst die Tamilen, die einen weiteren Schulweg haben, danach die Kleinen, die dann das Haus hier stürmen werden... Ein neuer Tag beginnt mit all seinen Möglichkeiten.

Einen ganz herzlichen Gruß

Michael Kreitmeir

PS. Bevor ich diese Zeilen schicken kann, wartet draußen eine Mutter mit drei Kindern. Ihr Mann ist im Gefängnis, nachdem er eine Zweijährige vergewaltigt hat. Das 13jaehrige Mädchen hat das Gesicht einer alten Frau, voller Angst und Erniedrigung.
Die beiden Jungs, 8 und 2 Jahre alt, sind völlig verstört und verwahrlost, die Mutter schaut nur auf den Boden, ist klein, zerbrochen, zerstört. Im Dorf hat man Zettel aufgehängt, dass man sie totschlagen sollte, zumindest die Jungs, damit das Blut ihres Vaters nicht weiter Unheil anrichten kann.
Fast täglich spielen sich solche oder ähnlich Szenen hier in Little Smile ab. Wir sind bereits an der Grenze unserer Möglichkeiten, es wäre vernünftig sie wieder wegzuschicken, es wäre besser, sie und diese Kinder einfach zu vergessen. Ganz sicher nicht besser wäre dies aber für dieses Mädchen und die beiden Buben.
Als die vier schon vor dem Tor warteten haben mir zwei Betreuerinnen ihre Kündigung gegeben. Sie wollen heiraten, mit 26 und 27 Jahren sei es höchste Zeit, die Familie hat bereits geeignete Kandidaten gefunden. 3 und 5 Jahre Ausbildung ziehen dahin, Ersatz ist nicht in Sichtweite. Aber, wie gesagt, der Tag fängt ja gerade erst an mit all seinen Herausforderungen und Chancen...