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Tränen am "Tag des Lächelns"

Man glaubt, dass man keine Luft mehr bekommt, der Hals ist wie abgeschnürt, eine unbeschreibliche Last drückt dich runter, droht, all deine Hoffnungen zu zerquetschen... Irgendwann ist eben bei jedem Menschen der Punkt erreicht, da ist es einfach zu viel, nicht mehr zu ertragen: Egoismus, Dummheit, Gleichgültigkeit, Gemeinheit, Rücksichtslosigkeit. Schreien, Toben, Heulen, Wegrennen, nichts hilft. Man steht da wie gelähmt, so als wäre man im falschen Film, in einem Alptraum, aus dem es kein Erwachen gibt.  Klar, das passt so gar nicht in das öffentliche Bild von einem, der auszog Kindern in einem Bürgerkriegsland zu helfen. Eine unglaublich große Little Smile Familie, lächelnde Kinder umgeben von einer tropischen Landschaft, die begeistern muss, zumindest auf den ersten Blick. Wenn man aber tiefer blickt, dahin wo die Welt so gar nicht zu dem passt, was die Hochglanzwerbung des aufstrebenden Tourismus verheißt dann kann man nur heulen und weitermachen oder aufgeben.

7. Oktober 2016, hochoffiziell zum Tag des Lächelns ernannt. Kurz vor 2 Uhr hat mir das Bellen der Hunde verraten, dass sich irgendwo Elefanten durch die stockdunkle Nacht dem Kinderdorf nähern. Wie soll man alleine gut 4 Kilometer Zaun bewachen, wie die Elefanten, meist sind es hier drei, vertreiben, nur damit sie es an einer anderen Stelle wieder versuchen. Und wenn es gelingt mit diesen unglaublich lauten Krachern, die schon mal vorzeitig explodieren, dann kommen sie halt morgen wieder oder übermorgen. Sie haben keine Wahl und ich auch nicht, ich mag sie und sie haben mein volles Mitgefühl, aber sie können in einer einzigen Nacht die Arbeit von Jahren zerstören. Und während ich unten bei der Schule die letzten Kokosnussbäume und den Rest der Bananenplantage bewache, höre ich das dumpfe Aufschlagen der Stämme weiter oben unweit der Nähschule. Es ist gefährlich alleine so durch die Nacht zu hetzen, überall werden die Elefanten vertrieben, das hat sie furchtlos gemacht und aggressiv. Eine riesige Wildsau weicht mir kaum aus, muss ihr erst einen Kracher entgegenschleudern. Bis ich bei der Nähschule bin höre ich die Elefanten nur noch durchs Unterholz brechen, ich muss ihnen folgen, umsichtig, Lärm machen, damit sie für heute Nacht genug haben.  All die aufgehängten Lichter nützen mir nichts, seit Mitternacht gibt es keinen Strom, wieder einmal.
Auch auf Hill Top, nur wenige Kilometer oberhalb, gibt es keinen Strom. Am frühen Morgen, es ist stockdunkel, aufstehen, waschen, kochen, für die Schule fertig machen. Bawani ist alleine dort mit den Jungs, allerdings hat sie vierbeinige Unterstützung. Unsere beiden Hunde, Macho und sein Vater Jacky laufen aufgeregt herum, wenn sie Elefanten oder Wildschweine wittern schlagen sie Alarm.
Die letzten Wochen hat es überall gebrannt, das Kinderdorf und das Bubenheim konnten wir vor den Flammen verteidigen. Brandstiftung am Ende der Trockenzeit ist leider allgegenwärtig. Für die Wildtiere gibt es kaum noch Futter, sie drängen dahin, wo es noch was zu fressen gibt. Nie vorher waren wilde Elefanten im Kinderdorf, die letzten Wochen jedoch haben sie den Großteil unserer Kokosnussplantage zerstört, hunderte von Bananenstauden zerfetzt, trotz durchwachter Nächte und all meiner Gegenwehr. Im Bubenheim sind Elefanten dagegen seit Jahren regelmäßige Besucher. Hier gibt es schon lange nichts mehr, was Elefanten gerne fressen. Trotzdem kommen sie, saufen die einzige Quelle leer, brechen immer wieder unsere zum Lager umfunktionierte Garage auf,  bis wir die Vorräte im Haus versteckten. Seit Jahren warne ich die Menschen hier vor Wasserknappheit. Abholzung, Brandstiftung, planlosem Zersiedeln der Landschaft... Längst hat der „Krieg ums Wasser“ auch in den Bergen Sri Lankas begonnen. Da wird in der Nacht die Wasserleitung des Nachbarn zerstört oder verstopft, gewaltige Wasserläufe sind überwiegend ausgetrocknet oder zu einem erbärmlichen Rinnsal verkommen.
Oktober 2016: Ein Großteil der Natur um uns herum verbrannt, überall heimaltlose Elefanten aus der Steppe vertrieben, eine unbeschreibliche Affenplage, Wildschweine die die Wurzeln der Bäume verletzen, unsere Vanille vertrocknet, die Plamen und Bananen von Elefanten zertrümmert, Gemüse ausgerissen von Affen, viele Bäume entlaubt, auch von Affen. Der Zaun an vielen Stellen niedergetreten, ich habe es aufgegeben ihn immer und immer wieder zu erneuern. Selbst der Fluss unterhalb des Kinderdorfes ist kaum noch vorhanden und doch wollen Tausende von Menschen aus ihm trinken, sich in ihm baden, ihre Kleidung waschen und mit seinem Wasser auch noch die Reisfelder bewässern. Ein Fluss gehört, laut Gesetz, allen, also dringen über das Flussbett Wilderer ein, Holzfäller sowieso, um die letzten Baumriesen, die sich in den Auen gehalten haben, zu fällen. Und was man nicht erreichen kann, wie das, was Little Smile gehört und was ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln verteidige, das zündet man dann halt an, am Besten von allen Seiten gleichzeitig.
Manchmal wundere ich mich selber, wie ich immer und immer wieder die Kraft aufbringe, Morgen für Morgen die Kinder anzulächeln, nachdem ich den Großteil der Nächte versuche, Elefanten aus dem Kinderdorf zu vertreiben. Überwiegend in unseren Grundstücken gibt es die wenigen Quellen, die noch etwas Wasser haben, weil wir nicht abholzen sondern neu pflanzen. Feuer freilich kennt keine Grenzen, bald jeden Tag gibt es Alarm, am Tag Feuer und Affen, in der Nacht Wildschweine und Elefanten und es wird immer schlimmer!
Und nun schaue ich in Hill Top auf Macho, meinen treuen Hund, den letzten Sohn von Rocky unserer Hundedame, herunter. Bawani hat mich angerufen, kann kaum sprechen: „Lokuthatha, please come, fast!“ Ein Morgen ohne Strom ist schwierig, gefährlich auch für die Jungs, die mit Kerzen und Taschenlampen zur Quelle laufen. Gut dass Macho und sein Vater Jacky aufpassen. Bei Gefahr wird gebellt. Heute waren sie ruhig, haben die Quelle immer wieder umkreist und dann, dieser unglaubliche Schlag, der die Erde hat zittern lassen. Bawani kommt durch die Dunkelheit gestolpert, alle Lampen sind bei den Jungs an der Quelle. Noch mit den Zahnbürsten im Mund werde die Buben eingesammelt, zurück ins Haus geholt. Was war das für eine Explosion? Durchzählen, Erleichterung, alle Jungs sind wohlbehalten. Auch Jacky ist da, aber er ist völlig verstört, verkriecht sich unter einer Bank. Wo ist Macho? 
Der Morgen dieses „Tages des Lächelns“ bringt die traurige Wahrheit ans Licht. Bawani kann nur noch mich um Hilfe rufen, ich bin in wenigen Minuten mit dem Geländemotorrad aus dem Kinderdorf hochgefahren. Doch ich kann nicht helfen, stehe selber da wie vom Blitz getroffen, schaue runter auf den Hund, den ich, nachdem Rocky keine Milch hatte, mit der Flasche hochgepäppelt habe. Er war gerade 2 geworden, voller Kraft und Dankbarkeit gerade mir gegenüber für sein Leben dort oben mit den Jungs und Bawani auf Hill Top. War ich da, wich er mir nie von der Seite, konnte zig Kilometer neben dem Motorrad herlaufen. So viele Erinnerungen, so viele Bilder.
Die Bombenfalle, die Wilderer für Wildschweine basteln, eine Kugel die lecker riecht und sobald man reinbeißt oder drauftritt den Tod bringt, sie hat Macho die Hälfte des Kopfes weggerissen, kein Mund, keine Nase, keine Augen. Trotzdem hat er sich noch einige Meter Richtung Haus geschleppt, wollte heim. Ich kämpfe mit den Tränen, weiß, dass ich trösten muss und bräuchte heute selber mal Trost. Die Fressbombe war nur wenig unterhalb des Waschplatzes versteckt, da wo der feuchte Boden Wildschweine anzieht, wie leicht hätte es einen der Buben erwischen können oder Bawani oder mich.


Wie durch einen Schleier schaue ich zu den benachbarten Bergen, überall haben Brände schwarze Löcher in die Hänge gerissen. Ich denke an all die Kinder, die mir anvertraut sind und frage mich: Welche Welt werden wir ihnen hinterlassen?