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Es weihnachtet sehr!
Ein ganz besonderer Festtag in vier Akten

Erster Akt: Der Christbaum und ein Packerl aus Füssen

Nur auf „unserem Berg“ neben dem Bubenheim, den wir wegen seines grandiosen Ausblicks „heavens door“ - Tor zum Himmel nennen, wachsen sie noch, die im Land so ungeliebten Kiefern. Von den Engländern hier angepflanzt haben sie viele Bergrücken erobert, bis ihnen von der letzten Regierung der Kampf angesagt wurde. Als Baum der Kolonialherren verteufelt wurden sie seitdem regelrecht bekämpft, großflächig abgeschlagen oder angezündet.

Unser Berg ist auch in der Region Koslanda ihr letztes Rückzugsgebiet. Hier hole ich mir jedes Jahr unsere Christbäume, für jedes Kinderhaus einen. Die Wahl fällt schwer, trotz Felsen und Trockenheit, die Kiefern schießen hier regelrecht aus dem Boden.

Nichts im Ort erinnert daran, dass heute Heiliger Abend ist, es ist normaler Arbeitstag, wie jeden Samstag stehen die Marktbuden entlang der Straße. Die Polizei lässt mich passieren, gut so, denn die Vernichtung von Kiefern ist zwar erlaubt, nicht aber der Transport der Bäume.

Und dann steht er, der Hauptchristbaum und zwar in diesem Jahr im Haupthaus, das wir alle Mainhaus nennen. Geschenke verpacken, Süßigkeiten backen, vorher das Haus weitgehend ausräumen, mehr als 80 Kinder brauchen Platz, gerade auch zum Feiern. Und dann kommt es doch noch, das Weihnachtspackerl von Lenka Rühle aus Füssen, so wie jedes Jahr seit 2005, in diesem Jahr aber auf den Schlag pünktlich. Neue Engerl, viel Weihnachtsdeko, Lebkuchen. Danke Tante Lenka.

Zweiter Akt: Die Reise des Christkinds

Ich habe mich in Schale geworfen, genauer in einen Anzug, den ich seit der Eröffnung des von uns gebauten Kulturzentrums in Galle, also seit 4 Jahren, nicht mehr getragen habe. Bin erleichtert, er passt noch und wurde weder von Motten noch von Ratten angeknabbert. Ein blaues, langärmliges Hemd, eine rote Krawatte, kaum habe ich mir das Jackett übergestreift fließt der Schweiß in Strömen. In meinen schwarzen Ausgehschuhen haben sich links einen Spinnenfamilie und rechts mehrere Geckos niedergelassen. Ich schicke sie auf Herbergssuche und putze erst mal.
Ein großes Hallo begrüßt mich bei unserem Treffpunkt vor dem Moonlighthaus. So rausgeputzt sehen die Kinder ihren Lokuthaththa selten, sehr selten. Aber heute ist ja auch kein Tag wie jeder andere.

Für die Kapelle haben die großen Mädchen, die vor wenigen Tagen ihre Schulabschlussprüfung gemacht haben, den Christbaum hergerichtet und die Kapelle mit vielen Kerzen festlich erleuchtet.

Ich habe ein etwa 30 cm großes Christkindl, ein Geschenk von Tante Lenka von 2011, mitgebracht, es steht vor mir. Ich nehme meine Kinder mit auf eine Reise in eine längst vergangene Zeit, aber in eine ihnen gar nicht so unbekannte Situation. Man ist nicht daheim, in der Fremde, man hat kein oder nur sehr wenig Geld, die Mutter ist hochschwanger. Niemand will solche Menschen, die stören nur. Schließlich verkriechen sie sich in einem Viehstall. Wir alle kennen diese Geschichte, wie viele hundert Millionen mal wird sie wohl heute Nacht erzählt werden? Aber hier klingt sie so anders, weil die Kinder, die mich aus der kerzenerleuchteten Kapelle anschauen, fast alle erfahren haben, was Armut bedeutet, Heimatlosigkeit, wie es sich anfühlt, wenn einen niemand haben will. Gott kam zuerst zu den Armen, die Hirten vor den Königen. Klar wissen wir das alle, warum also ist Weihnachten mit so viel Konsum beladen? Und dann beginnt unsere Prozession, die tropische Nacht streckt  bereits ihre Schatten aus. Jedes Kind soll eine Kerze hochtragen, das Licht beschützen. Es ist windstill, fast alle Kerzen kommen brennend beim Moonlighthaus, gut 200 Meter höher, an. Alle haben richtig Hunger, es gab heute nur ein spätes Frühstück, das Christkind wartet und lächelt verständnisvoll. Die größte Kerze brennt weiter, nach der Stärkung werden alle anderen an ihr neu entzündet.
Unser Christkind, stolz getragen von der nun volljährigen Chamilla, die aussieht wie 14 und denkt wie 10, besucht nun alle Kinderhäuser. Es würde sicher große Augen machen ob all der weihnachtlichen Herrlichkeit, die unsere Betreuerinnen und die Kinder in ihre Häuser gezaubert haben. Im Wisdomhaus unserer Kleinen rieselt leise sogar der Schnee, weiße Baumwollflocken an dünnen Fäden befestigt, viele Hundertmal.

Und dann erreicht unsere Prozession das Haupthaus. Am Nachmittag haben Nauaraj und Shanta, die Arbeiter die richtig gut klettern können, in schwindelerregender Höhe am Baum vor dem Haus Lichterketten befestigt, ich drücke den Schalter, ein Raunen der Begeisterung: Willkommen zur Bescherung!

Dritter Akt: Weihnachtsfeier

„Ihr Kinderlein kommet oh kommet doch all...“ Niroshani hat 14 Jahre von den 16 ihres Lebens hier im Kinderdorf gelebt, sie kennt sogar einige deutsche Weihnachtslieder und sie kann singen, eher eine seltene Gabe hier, im Gegensatz zu den Bastelfähigkeiten.
Ja, sie sind alle da, kamen zur Krippe und zu unserem von Anka geschmückten Weihnachtsbaum. Wie wohltuend unterscheiden sich die Schulabgänger in diesem Jahr von denen des letzten. Sie machen mit, sind Teil auch dieser Familienweihnachtsfeier und nicht nur pubertär.

Die 11 bis 14jährigen aus dem Moonlighthaus haben das Krippenspiel übernommen. König Herodes lacht gerne und ständig, aber befiehlt trotzdem, dass seine Soldaten alle Neugeborenen töten. Das Christkind hat Glück, weil des bösen Königs Auftritt noch vor der Geburt stattfindet. Und so entgeht der Gottessohn dem Gemetzel, zumindest in unserer Geschichte. Leider aber machen auch bei uns die gierigen Herbergsbesitzer ihre Herzen und Türen zu und auch in unserer Geschichte kommen die Hirten vor den Königen, vielleicht auch, weil sich der böse König Herodes umziehen muss in einen guten König und dafür in der Dunkelheit draußen Zeit braucht.
Bawani unsere Betreuerin im Bubenhaus auf Hill Top ist mit den Jungs gekommen, auch sie sind Teil der Little Smile Familie, obwohl sie ein paar Kilometer oberhalb leben. Auch ihre inzwischen 18jährigen Zwillingssöhne Mikel und Robin sind da. Mein Gott wie klein sind die vor vielen Jahren auf ihrer Herbergssuche hier angekommen. Ich singe ein paar Weihnachtslieder, begleite mich selbst auf der Gitarre, die ich mir selbst an meinem 16. Geburtstag zu Weihnachten geschenkt habe, danach übernimmt der Computer den festliche akustischen Part, weil ich alle Hände voll zu tun bekomme.

Und dann gibt es die Bescherung, fast 100 Menschen bekommen, festlich verpackt, was sie sich selber auf zahllosen von Anka organisierten und begleiteten Einkaufstrips an Kleidung und buntem Zeug ausgesucht haben. Dazu gibt es ein Naschpackerl für jeden, quasi als Vorgeschmack auf das große Kuchenfest.

Und während „Kevin alleine zu Haus“ eben dieses vor zwei bösen Buben verteidigt, fallen mehr und mehr Kindern müde, aber glücklich die Augen zu. Dank Kevin triumphiert im Fernseher das Gute, war im Jahr 2016 weltweit eher selten der Fall. Da schlafen freilich die meisten der Kinder, allerdings nicht in himmlischer Ruhe, weil unser Bergurwald nie still ist, ganz besonders nicht in der Nacht, durch die ich nun Bawani und die Jungs hochfahren werde in ihre Zuhause in Hill Top.
Die Nacht ist dunkel, doch selbst oben auf dem Berg bei den Jungs angekommen sehe ich unseren Christbaum vor dem Mainhaus leuchten, ein winziger, aber heller Punkt in der endlosscheinenden Dunkelheit da drunten. Ich schaue hoch in den sternklaren Himmel und mir ist es fast so, als könne ich dort oben meine Mutter sehen, sie lächelt. Frohe Weihnachten!

Vierter Akt – Erinnerung

Der 1. Weihnachtstag, ein Sonntag also auch in Sri Lanka ein „Freier Tag“, irgendwie. Freilich, die Kinder sind voller Tatendrang, kommen in die Morgenandacht in unsere Dschungelkapelle gekleidet in das, was gestern am Abend noch unter dem Christbaum lag. Anka hat gut beraten. Ich wundere mich Jahr für Jahr wo sie all diese Klamotten findet, ich kann 100 Mal durch unsere Nachbarstadt Wellawaya laufen und schlucke nur Staub.
Heute kommen alle Arbeiter mit ihren Familien, ein ständiges Kommen und Gehen, Teekochen und Kuchen richten. Mittag wollen wir etwas besonderes kochen, die Kinder freilich wollen – richtig - Reis, wenigstens kann ich sie zu Gemüsereis überreden.
Dann kehrt ein wenig Ruhe ein, war gestern für alle ungewöhnlich spät.
Anka stöbert im Internet auf unserer Homepage und macht mich auf einen Text aufmerksam, vor sehr, sehr langer Zeit von mir geschrieben. Zeile für Zeile werden neue Erinnerungen wach an mein Denken und Fühlen vor 15 Jahren, das Bild immer bunter, lebendiger. Stimmt schon, Erinnerungen sind ein ganz besonderer Schatz.
Den Heiligen Abend 2001 habe ich in Eichstätt gefeiert und war dann in Gedanken doch wieder im Kinderdorf in den Bergen Sri Lankas:

Liebe Little Smile Familie
Ich sitze hier in einem winterlich verschneiten Bayern und denke an Euch. Wenn ich die Uhr jetzt die fünf Stunden weiterdrehe, bei Euch ist es jetzt 6 Uhr am Abend. Irgendwie ist das ja die schönste Zeit. Wenn ich ganz leise bin dann meine ich, dass ich Euch hören kann. Ihr macht gerade Eure Vorführungen, Dramen, Lieder, Erandi spielt sicher auf der Orgel und ganz sicher tanzt Maheshi, Niluka und viele von Euch werden singen...... Bestimmt wird Namal nach seinem Teil wieder dieses Lächeln aufsetzen. Alle kann ich mir so gut vorstellen und auch wenn Ihr mich nicht sehen könnt, ich bin dabei, habe meinen Geist zu Euch geschickt.
In Deutschland feiern wir heute den Heiligen Abend. Birgit hat Euch sicher erzählt, was da vor langer, langer Zeit passiert ist. Auch ich möchte Euch eine kleine Geschichte erzählen und bitte Bandula, dass er sie Euch übersetzt:

Als 5jähriger Bub habe ich im Kindergarten kurz vor Weihnachten eine Art Theater eingeübt. Da ziehen ein Mädchen und ein Junge als Maria und Josef verkleidet, von Türe zu Türe und klopfen an. Sie bitten darum, dass man sie reinlässt ins Warme. Josef bettelt förmlich, beschwört die Menschen in den Häusern seine hochschwangere Frau doch aufzunehmen. Doch sie werden immer abgewiesen. Nun bekam ich die Rolle des Mannes, der die Bittenden weiterschickt, weil sie kein Geld haben. Das Ganze wurde gesungen und ich kenne noch jedes Wort und die Melodie, als sei es gestern gewesen. Wenn ich im Januar komme, kann ich sie Euch vorsingen.
Also weiter mit meiner Geschichte: Der erste Mann hatte keinen Platz und schickte Maria und Josef weiter, der Zweite, das war ich, fragte, wie viel sie bezahlen könnten. Da die Beiden arm waren und kein Geld hatten, musste auch ich sie wegschicken. Ich hatte keine Probleme mit meiner Rolle, Text und Melodie gut gelernt. Dann kam es in der Kindermesse am heiligen Abend zur Aufführung. Alle waren wir sehr aufgeregt, natürlich wollte keiner von uns einen Fehler machen vor so vielen Leuten. Maria und Josef wurden bei der ersten Türe nicht eingelassen, tippelten ein paar Meter und kamen zu mir. Und plötzlich fuhr es in mich, was ich da tun sollte. Maria, die das Christkind zur Welt bringen sollte, die musste ich jetzt in die Kälte schicken. Das ging doch nicht, das wollte ich nicht, das durfte ich nicht. Ich brachte keinen Ton heraus, das Mädchen, das Maria spielte, sagte mir ein, Josef sagte mir ein, aber ich wollte die Beiden reinlassen und nicht wegschicken, aber das war ja nicht vorgesehen. Ich glaube, damals haben sich alle für mich geschämt, für den kleinen, dummen Jungen, der seinen Text vergessen und die Vorstellung zum Stocken gebracht hatte. Auch ich habe mich geschämt, stand mit hochrotem Kopf vor all den Leuten. Stotternd habe ich Maria und Josef dann doch nach dem Geld gefragt und schließlich weitergeschickt.
Heute seid Ihr, jedes von Euch, meine Kinder und ich mache die Türe und mein Herz weit auf für Euch. Weil ich aber kein Haus hatte, in das ich Euch einlassen konnte, haben Bandula und ich Häuser gebaut. Weil aber Liebe mehr bedeutet als nur die Türe aufzumachen, weil Liebe auch immer Sorge um den geliebten Menschen heißt, haben wir eine Schule gebaut, eine Werkstatt, euren Spielplatz. Ihr seid hier nicht Gäste, Ihr seid Little Smile und Ihr seid meine Familie, meine Kinder, die ich sehr lieb habe

Euer Lokuthatha